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Bunte Welten erschaffen
Text und Interview: Anicia Kohler
Fotos und Illustrationen: Géraldine Cammisar
Rund zwei Sekunden skizzenhaft ge- zeichnete Animation (rough Animation) pro Tag – als Animationsfilmerin widmet man sich auch den kleinsten Details. Ge- nau darin liegt für Géraldine Cammisar der Reiz.
Die Oekingerin Géraldine Cammisar gewann 2020 einen Preis am Animationsfilmfestival Fantoche und den Förderpreis Film des Kan- tons Solothurn – direkt nach ihrem Master- abschluss an der Hochschule Luzern. Heute arbeitet sie für das Zürcher Gamestudio «Stardust» und entwickelt nebenbei kurze und längere Filmprojekte.
Géraldine, wie bist Du auf die Animation gekommen?
Ich habe mich schon als Kind sehr für Ani- mationsfilme interessiert, ich war zum Bei- spiel ein Riesenfan von Sailor Moon (einer japanischen Manga-Serie, Anm. der Red.). Ich war ein sehr verträumtes Kind und habe aus Lego und Playmobil richtige Welten kreiert – was meine Eltern ein bisschen zur Verzweiflung gebracht hat, weil ich immer das ganze Zimmer vollgestellt habe (lacht). Nach der Schule habe ich das KV gemacht, dann die gestalterische Berufsmatura, und schliesslich einen Vorkurs an der neuen Schule für Gestaltung in Langenthal. Als ein Professor sagte, es gebe einen Studiengang in Animation, machte es klick bei mir.
Ich hatte vorher gar nicht gewusst, dass das ein richtiger Beruf ist! Mir war sofort klar, dass ich das machen wollte. Zum Glück bin ich dann an der Hochschule Luzern aufgenommen worden.
Und was fasziniert Dich an der Animation?
Was es für mich ausmacht: Alles ist von Grund auf kreiert. Es ist überhaupt nichts dem Zufall überlassen. In einem Realfilm kann man auch viele Dinge be- stimmen, aber schlussendlich kommt die Performance doch von einer Per- son, die schauspielert. Als Animatorin kommt aber alles von dir! Jede Bewe- gung, jede Regung. Man kann so vieles falsch machen. Es bringt nichts, wenn man gut zeichnen kann, aber den Sinn
der Bewegung nicht versteht. Man muss sich überlegen: Was ist das für eine Person? Wie bewegt sie sich? Macht sie bestimmte Gesten, oder hat sie einen Tick? Und der Sound gehört natürlich auch dazu. Jede Be- wegung macht ein Geräusch. Animation ist etwas vom Teuersten und Aufwändigsten, was man machen kann. Ein Animator oder eine Animatorin bei Disney zum Beispiel kreiert im Durchschnitt etwa zwei Sekun- den eines animierten Charakters pro Tag, also 48 Einzelbilder.
Gibt es etwas, was besonders schwierig zu animieren ist?
Eine gehende Person. Da muss alles stim- men, man muss wissen, wie die Anatomie funktioniert, wie ein Körper läuft. Die Per- sönlichkeit des Charakters ist sehr wichtig – jeder Mensch geht anders! Das ist sehr komplex. Daran arbeite ich übrigens ge- rade. Für das Gamestudio animiere ich vier verschiedene Hexen, die sich durch das Design sowie die Animation voneinander unterscheiden sollen.
Kommt Dir eine konkrete Filmszene in den Sinn, die Dich sehr beeindruckt hat? Ich mag zum Beispiel die Filme von Studio Ghibli sehr. Im Film «Mein Nachbar Totoro» gibt es eine Katze, welche die Funktion ei- nes Busses übernimmt und über die Hügel hinwegfliegt. Einer meiner Lieblingsfilme des selben Studios ist «Howl’s Moving Castle», in welchem die Charaktere greif-
bar menschlich wirken. Ihre Schwächen werden sehr gut gezeigt. Sie sind nicht per- fekt, und deshalb kann man sich mit ihnen identifizieren, auch wenn sie animiert und gar nicht echt sind.
Nehmen wir einmal an, Du hättest unbe- grenzt Zeit und Geld zur Verfügung. Hät- test Du eine konkrete Idee für einen Film? Ja (lacht)! Ich habe verschiedene Ideen für Langfilme, die zum Teil auch zusammen- hängen – es ginge um eine Fantasywelt mit zwei wichtigen Charakteren. Aber zuerst möchte ich noch ein paar kürzere Filme machen. Vom 6-Minuten-Film bis zum Film in Kinolänge ist es nämlich schon ein Riesenschritt!
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