Page 205 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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 Die ultimative Herausforderung
Text und Interview: Maximilian Marti
Foto linke Seite: Swiss Athletics/Ulf Schiller
Aus den Anfängen des Fünfkampfs, wie er an den Olympischen Spielen der Antike durchgeführt wurde, entwi- ckelte sich die heutige Form des Zehn- kampfs (auch Decathlon), wie er zum ersten Mal an den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm zu sehen war. Zehn Wettkämpfe in Folge müssen in zwei Tagen absolviert werden: 100-Meter- Lauf, Weitsprung, Kugelstoss, Hoch- sprung, 400-Meter-Lauf, 110-Meter-Hür- denlauf, Diskuswurf, Stabhochsprung, Speerwurf und 1500-Meter-Lauf. Die «Königsdisziplin der Leichtathletik» ist die ultimative Herausforderung an die Sportler und verlangt diesen alles ab. Nur wenigen Athleten gelingt es, phy- sisch und psychisch auf ein Niveau zu kommen, das dieser Anforderung stand- hält. Einer von ihnen ist der Appenzeller Simon Ehammer.
Mit gerade mal 21 ist der junge Überflieger aus Stein AR ein vielversprechender Stern am Helvetischen Sporthimmel. Als aktuell bester Zehnkämpfer der Schweiz profilierte er sich mit dem Sieg an der Junioren-EM 2019, mit Bronze an der Junioren-WM 2018 sowie dem Schweizermeister-Titel 2019, was 2020 mit seinen Wahlen zum «Schwei- zer Leichtathlet des Jahres» und zum «Ap- penzeller des Jahres» honoriert wurde. Auch an den diesjährigen Hallen-Meister- schaften in Magglingen war der Sieg wieder in Reichweite, als ihm der Stabhochsprung einen Streich spielte.
Simon, kaum hast Du Deine sportliche Karriere begonnen, zählst Du bereits zur aktiven Weltelite und zeigst grosses Potential, Dich dort zu behaupten. Was ist Dein Geheimnis?
Ich denke, es ist eher eine Eigenschaft, die wahrscheinlich alle gemeinsam haben, die vorne mitspielen möchten: unbedingt etwas erreichen zu wollen, dazu bereit zu sein, harte Arbeit und viel Zeitaufwand auf sich zu nehmen, die Komfortzone zu verlassen und die eigenen Grenzen zu strapazieren, um ins Ziel zu gelangen.
In Magglingen hattest Du die Schall- mauer von 6300 Punkten im Fokus und wurdest als Kronfavorit gehandelt, dann bist Du am Stabhochsprung gescheitert. Habt ihr, Du und Dein Team, die Ursache herausgefunden? Nein, nicht schlüssig. Weil der mentale Teil ebenso entscheidend ist wie die Tech- nik und nicht zuletzt die Tagesform, ist es schwierig, im Nachhinein Fehler zu definie- ren. Hochleistungssport ist nun mal keine exakte Wissenschaft – und das ist gut so, sonst wäre die Spannung weg. Learning by doing ist angesagt, an Fehlern feilen, bis sie weg sind.
Wie motivierst Du Dich nach solchen Pannen?
Meistens ist es eine Kopfsache. Deshalb schaue ich jeweils zurück und sehe mich darin bestätigt, dass ich es grundsätzlich kann. Dann blicke ich nach vorne zu mei- nem Ziel, weiss, dass ich dorthin will und sage mir, dass ich, obschon ich noch jung
bin, als bereits Aktiver doch schon einiges vorweisen kann. Dann beginne ich mit dem Training auf die nächste Chance.
Alle haben einen kleinen, oft gemeinen und immer hemmenden Kobold in sich. Welcher ist Deiner?
Wie er heisst, weiss ich nicht, aber er sitzt mir oft im Nacken, wenn es in den letzten Disziplinen eines Wettkampfs darum geht durchzuhalten, die verbleibenden Kräfte strategisch einzuteilen, allerletzte Reserven abzurufen und mentales Schmerzmanage- ment zu betreiben.
Wie, wo und wie lange regenerierst Du nach einem Wettkampf?
Meistens zu Hause im Kreis meiner sport- lich orientierten Familie. Der Austausch mit meinen Eltern und Geschwistern tut mir gut. Sie halten mich auf dem Boden, und alle wissen, was nötig ist, um nach Wettkampf- strapazen wieder herunterzukommen und auf normale Betriebstemperatur zurück- zufinden. Nach zwei Tagen Auszeit bin ich meistens wieder bereit zum Training.
Lebst Du nach einem Ernährungsplan?
Während der RS wurde so etwas wie ein Menüplan ausgearbeitet, aber jetzt esse ich, wonach ich Appetit und Lust habe. Je- der weiss, was gut ist für seinen Körper und seinen Geist.
Auf lange Sicht gesehen willst Du von den Olympischen Spielen 2024 in Paris nicht ohne Medaille zurückkommen. Was ist Dein nächstes Ziel?
Zurzeit trainiere ich auf den nächsten Wett- kampf in Vorarlberg, dann auf die Schweizer Meisterschaften. Unter den herrschenden Umständen ist es schwierig, Prognosen zu stellen, aber ich halte mich an meinen Trai- ningsplan und feile an den Details, um bereit zu sein für alles, was den Wettkampf lohnt.
simonehammer.ch
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