Page 73 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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 «HILFE ist ein schönes Wort!»
Text und Interview: Regula Elsener Fotos: Aissa Tripodi / Filolino
Jongliert Renato Kaiser mit Worten, kön- nen die einem durchaus wie Keulen um die Ohren fliegen. Kein Wunder, stand der Mann schon mit 20 auf der Bühne und gewann 2012 sogar die Schweizer- meisterschaften im Poetry Slam. (Ja, die gibt’s!)
Längst ist sein markanter St. Galler-Dialekt aber auch einem breiteren Publikum be- kannt: etwa durch die Kolumne «Zytlupe» bei Radio SRF 1 oder seine Aufritte in der SRF-Comedy-Sendung «Late update» 2019 an der Seite von Michael Elsener.
Vergangenen Herbst feierte sein neues Pro- gramm «HILFE» Premiere, mit dem er – so- bald Corona es zulässt – weiter auf Tournee sein wird. Im Casinotheater Winterthur führt er zudem regelmässig die Show «Kaiser- Schmarren» auf. 2020 wurde Renato Kaiser mit dem «Salzburger Stier» ausgezeichnet, dem renommiertesten Kleinkunstpreis im deutschsprachigen Raum.
Zum Start brennt aber vor allem eine Frage unter den Fingernägeln:
Wieso leben Sie als St. Galler eigentlich in Bern?
Der Grund ist sehr simpel: Meine Freundin hatte dort ein Jobangebot. Da ich beruflich nicht an einen bestimmten Ort gebunden bin, ging ich mit! Offen gesagt ist mir eh ziemlich egal, wo ich lebe. Ich fühle mich schnell irgendwo wohl.
Sie spüren überhaupt kein Heimweh? Aufgepasst: Das ist ein Interview für das «Best of St. Gallen» ...
(Schmunzelt) Mit Goldach bleibe ich sicher mein Leben lang verbunden. Meine Eltern wohnen noch immer dort. Wenn ich mit meiner Mutter im Bodensee schwimme, merke ich jeweils schon: Ach, irgendwie hat mir das gefehlt. Ich finde St. Gallen gene- rell super! Und verstehe daher nicht, warum dieser Kanton unter einem offensichtlichen Minderwertigkeitskomplex leidet. Wir las- sen uns zu oft abkanzeln. Ständig heisst es nur «Oooolma» und «Broootwurscht». Als ob wir für nichts anderes stehen.
Sie erwähnten vor-
hin Ihre Freundin.
Das hat mich über-
rascht, denn Sie
könnten drei Kinder,
zwei Meerschwein-
chen und einen Cam-
per haben – keiner
wüsste es. Warum
halten Sie Ihr Privat-
leben so geheim?
Das tue ich nicht, es
fragt bloss nie je-
mand! Ich definiere
mich halt ausschliess-
lich über meine In-
halte. Und bin als
Persönlichkeit wohl zu wenig schillernd, als dass sich irgendwer für mein Privatleben interessieren würde (lacht).
Also, mich interessiert es... Wie ist es denn so, Ihr Privatleben?
(Lacht noch lauter) Sehr gut – und sehr unaufgeregt. Wir haben eine Hündin, die Peggy heisst. Und zwei Katzen: Gipsy und Gru. (Pause) Sehen Sie? Viel mehr gibt’s halt nicht zu erzählen. Als «Glanz und Gloria» mal einen Beitrag drehen wollte, sagte ich: Kön- nen wir machen, aber das wird für keinen von uns ein Spass. Am Schluss ging es dann vor allem um Peggy.
Also um die Hündin? Und was gäbe es über Ihre Freundin noch zu sagen?
Dass sie super ist! Ich weiss nicht, ob ich mit einer anderen Frau so lange zusammen sein könnte. Und sie mit mir. Zudem erinnert sie mich immer wieder daran, dass ich zu mir schauen und nicht lächelnd in ein Burnout rennen soll.
Weil Sie sich verzetteln?
Die Gefahr besteht durchaus, mich interes- siert einfach sehr vieles! Aber zum Glück verspüre ich noch immer keinen Drang, reich und berühmt zu sein. Das klingt nach einer Floskel, ist aber keine. Wenn ich bei einer Anfrage spüre, dass mir das Thema nicht liegt, sage ich Nein. Denn wenn ich etwas nicht machen will, kann ich es eigent- lich auch nicht. Mein Hang zum Perfektio- nismus ist gewissermassen eine natürliche Bremse. Gleichzeitig weiss ich aber auch, wie gut ich es habe.
Weil Sie es sich leisten können, Nein zu sagen?
Genau. Das ist nicht selbstverständlich. Angefangen hat es mit den Poetry-Slam- Auftritten, dann kamen eigene Programme dazu, die «Zytlupe» und, und, und. Jede neue Anfrage empfinde ich noch heute als eine Art Bonus. Zudem kann man zwar ganz bescheiden sagen: Die Bestätigung von aussen ist nicht das Wichtigste. Aber un- terbewusst gibt sie dir halt doch viel. Drum wiederhole ich es gerne: Mir geht es wirk- lich gut. Davon profitiert auch mein Umfeld, denn es braucht sehr viel, bis ich laut werde oder gar ausraste (lacht).
Dabei heisst Ihr aktuelles Programm doch «HILFE»! Müssen wir uns also keine Sorgen machen?
Nein! Es ist einfach ein schönes Wort.
HILFE?
Ja, gross geschrieben besteht es aus lauter Balken: HILFE. Das gefällt mir. Zudem passt es inhaltlich: Ich suche Hilfe bei Antworten auf zig Fragen und biete Hilfe, indem ich die- sen Fragen auf den Grund gehe. Ich spüre zudem stets eine kleine, grundsätzliche Überforderung. Das ist die Voraussetzung für den Beruf des Satirikers. Stellen Sie sich vor, ein Satiriker hätte alles im Griff. Was gäbe es für ihn dann noch zu besprechen?
www.renatokaiser.ch
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