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 Unser Mann in Hollywood
Text und Interview: Thomas Lüthi Fotos: Tom Wagner
Es kursieren einige Missverständnisse über Hollywood-Schauspieler. Und mit «Hollywood» ist hier nicht der etwas he- runtergekommene Ort in Kalifornien gemeint, sondern Film- und TV-Produk- tionen mit einer bestimmten Anmutung. D. h. grosses Budget, angloamerikanisch geprägt und mit Beteiligung von Stars. Denen geht ja der Ruf voraus, dass sie schwierig sind. Zudem liest man ihnen je- den Wunsch von den Augen ab. Wehe sie werden nicht sofort erfüllt! Solche Stories haben einen wahren Kern, selten aber punkto Launenhaftigkeit von Stars. Der in London wohnhafte Stadtzürcher Basil Eidenbenz liefert hier spannende Innen- perspektiven. Vom selben Lehrer aus- gebildet wie Tom Hardy und Ex-Bond Pierce Brosnan, taucht der Niederdörfler Eidenbenz immer öfter in Gigaproduk- tionen wie Indiana Jones 5 oder im Net- flixflagschiff «The Witcher» auf. Wie jeder, ich wiederhole, JEDER, Schauspieler ist Basil Eidenbenz eitel, was er sympathi- scherweise sofort zugibt. Aber einige Kollateralphänomene seines Berufes bzw. seiner eigenen wachsenden Popu- larität betrachtet er mit einer gesunden Distanz.
Stichwort «roter Teppich» ...
Ach, da kommst du dir vor wie im Zoo. Je- mand zerrt dich am Ärmel vor eine Wand mit lauter Sponsorenlogos. Dann siehst du nichts – wegen den Blitzlichtern. Du hörst Geschrei: «Basil schau hierher.» Und eine Minute später ist der Spuk vorbei.
Stehst Du denn nicht gerne
im Mittelpunkt?
Mir ist das immer auch etwas peinlich. Was habe ich denn geleistet? Ich bin vor der Ka- mera gestanden und habe so getan, als ob. Was ist das schon im Vergleich zu einem Arzt?
Magst Du denn Deinen Beruf nicht?
Doch, natürlich. Dazu beizutragen, eine Ge- schichte gut und glaubwürdig zu erzählen, das gibt mir eine tiefe Befriedigung. Wenn dann noch viele Leute Freude daran haben, freut mich das auch. Was noch dazukommt:
An einem Film oder einer TV-Produktion arbeiten häufig zig hundert Leute. Viele von denen stehen nie im Rampenlicht, hätten es aber auch verdient.
So wie bei «The Witcher»?
Genau. Du spürst in jedem Augenblick, wie sehr du aufeinander angewiesen bist. Alle sitzen im selben Boot. Wenn Schauspieler einen Text verhauen, landet das vielleicht später als Pannenclip im Internet. Doch für die Crew ist das überhaupt nicht lustig. Die haben Stunden damit verbracht, die Ein- stellung vorzubereiten, und dann geht sie schief. Wir Schauspieler lachen zwar darü- ber, wir entschuldigen uns aber sofort und aufrichtig bei der Crew.
Auch die Stars?
Natürlich. Die sind meistens total unkom- pliziert. Ein hierarchisches Gefälle im Cast ist häufig kaum spürbar. Weil alle Darsteller – egal ob kleine oder grosse Rolle – etwas gemeinsam haben.
Nämlich?
Die Warterei. Morgan Freeman hat mal gesagt: «Du wirst fürs Warten bezahlt, die Schauspielerei ist gratis.» Es kann sein, dass du von vier Uhr morgens bis spätabends
auf dem Film- set bist – für zwei Szenen. Eine bei Drehbeginn und ei- ne um 18 Uhr. Da- zwischen sitzt du rum und wartest.
Und wirst noch be- dient. Ihr könntet euch doch wenigs- tens selber den Kaffee holen?!
Das darf ich nicht. Dafür ist ein As- sistent zuständig. Dabei gehtʼs aber nicht um Verwöhnt- werden, sondern um Kontrolle sei- tens Produktion. Es könnte nämlich sein, dass im Drehplan eine Szene vorgezo- gen wird. Und dann
bin ich plötzlich nirgends zu finden, weil ich einen Spaziergang mache! Geht gar nicht! Dasselbe Prinzip gilt für Fahrdienste. Ich wurde jeden Morgen abgeholt – übrigens häufig mit schönen Autos. Und wehe, du bist fünf Minuten zu spät. Dann wird der Fahrer zu Recht nervös. Denn es liegt in seiner Verantwortung, dass du rechtzeitig auf dem Set bist.
Es geht also zu wie beim Militär?
Ganz und gar nicht. Es tönt zwar kitschig, aber bei «The Witcher» waren wir eine grosse Familie. An meinem ersten Dreh- tag stand ich plötzlich neben Showrunne- rin Lauren Schmidt. «Ich muss mich in den Arm kneifen, dass wir hier sind. Was für ein unglaublich schönes Gefühl, wieder zu drehen», sagte sie. Denn es war die erste Produktion nach dem Lockdown im letzten Frühling. Und für Netflix stand enorm viel auf dem Spiel – es ist momentan die wohl wichtigste Serie für den Streaminganbieter. Schon cool, dass ich da dabei sein konnte.
«The Witcher», 2. Staffel ab 17. Dezember 2021 auf Netflix.
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