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 «Nouvelle Vague» – neue Wellen von und mit Pablo Nouvelle
Text und Interview: Bianca Ritter Fotos: Roshan Adhihetty
Pablo Nouvelle, mit bürgerlichem Namen Fabio Friedli, ist ein gebürtiger Berner Musiker, Filmemacher und Pro- duzent, der auch im Ausland grosse Er- folge feiert. Das «BEST OF Kanton Bern» hat sich mit dem vielseitigen Künstler unterhalten.
Pablo, gleich zu Beginn die berühmte Frage zum Propheten im eigenen Land, der nichts wert sein soll. Was ich ge- lesen habe, bist Du z. B. in England sehr populär. Wie beurteilst Du heute die Chancen für unsere Musiker im In- und auch im Ausland?
Es gibt beide Seiten. Die angesprochenen Mechanismen sind nach wie vor da, aber si- cher weniger als noch vor zehn Jahren. Viel hat sich bewegt. Und in jedem Genre gibt’s mittlerweile ernstzunehmende Schweizer Künstler/-innen, die international mithalten können. Spontan kommen wir da Namen wie Priya Ragu, Sophie Hunger, der Ost- schweizer Musikproduzent OZ oder der Multiinstrumentalist Al Hug mit seinen Soul- Samples in den Sinn, der diese in alle Welt verkauft.
In Deiner Musik spiegeln sich verschie- dene Einflüsse wie Trip-Hop, House, Ambient, Pop, Dance, Soul. Wir wollen hier nicht schubladisieren. Aber wie beschreibst Du selber deine Klangkom- positionen? Wer oder was hat Dich als Musiker beeinflusst?
Deine Auflistung trifft es recht gut. Tatsäch- lich war z.B. Trip-Hop immer ein starker Einfluss. In frühen Jahren habe ich Kruder & Dorfmeister in der Endlosschleife gehört, aber auch Schweizer Rap und Hip-Hop aus den USA. Für mich muss Musik melodiös sein und Seele haben, etwas Warmes, Emo- tionales. Insofern kann ich schon sagen, dass mich vor allem die Soulmusik stark geprägt hat.
2016 hast Du mit «All I Need» Dein zweites Album veröffentlicht. Das ist ein gutes Stichwort, zumal ich oft von
Dir lese, dass Du keine Besitztümer im physischen Sinn anhäufen willst und Dich lieber über das definierst, was Du machst und nicht was Du hast. «What do you need?»
Ja, sicher nichts Materielles. Frei von der Leber weg würde ich sagen, dass ich das Privileg habe, in einem stabilen Land auf- gewachsen zu sein, in einem Land mit guter Grundlage. In der Folge habe ich den Platz gesucht und gefunden, um mich ausdrü- cken zu können und den für mich nötigen Freiraum zu erarbeiten. Das gilt für visuelle Projekte als auch für die Musik. Wenn man sich so selber verwirklichen kann, spielen materielle Güter keine so grosse Rolle mehr im Leben. Dafür bin ich dankbar.
Du bist auch aktiv als Filmemacher und Produzent. 2018 warst Du sogar in einer kleinen Nebenrolle im Film «Tranquillo» als Pablo zu sehen. Und 2017 warst Du auf der sogenannten Longlist für eine Oscarnomination mit dem Kurzfilm
«In A Nutshell». Gibts weitere Filmpro- jekte und was ist Dein Goal in diesem Business?
Das liegt etwas brach momentan. Nach «In A Nutshell» hatte ich das Gefühl, für den Moment alles gesagt oder gezeigt zu ha- ben. Die Musik und meine Arbeit als Pro- duzent anderer Musiker hat seither sehr viel mehr Raum eingenommen. Zurzeit habe ich eher weniger Zeit für filmische Projekte.
Von Dir gibt es mittlerweile drei Solo- platten und mit dem britischen Multi- Instrumentalisten Kinnship hast Du unlängst die LP «Stones & Geysers» veröffentlicht, die von Kritikern als meisterhaftes Elektronik-Folk-Album gepriesen wird. Wie geht es bei Dir musikalisch weiter?
Im Moment und noch bis im Herbst ver- öffentliche ich alle fünf bis sechs Wochen einen neuen Song. Danach kommt das neue Album «Vulnerability». Es wird sehr treibend und tanzbar sein, ohne Gesangsfeatures. Aber natürlich immer noch typisch Pablo Nouvelle, emotional, warm... eben vulnera- bel bzw. verletzlich. Frei nach dem Motto «Crying on the dancefloor».
Am 13. Juli trittst Du abermals am Berner Gurtenfestival live auf. Was bedeuten Dir solche grossen Events; und dann erst noch in der Heimat?
Der Gurten ist das Speziellste vom Spe- ziellen, ein Sehnsuchtsort seit meiner Tee- niezeit. Das war für mich immer ein Traum, auch irgendwann auf der Bühne zu stehen... Der Gurten 2022 ist für mich nach dreijäh- riger Pause (Pandemie und ein Jahr in Lon- don) quasi ein Comeback. Und ich freue mich riesig, eine komplett neue Setlist, neue Musiker, neue Visuals zu präsentieren. Live- musik aus einem Guss. Ein absolutes High- light dieses Jahr.
Und apropos Heimat, Du bist in Burgdorf aufgewachsen, lebst heute
im urbanen Zürich und bist öfter in England. Deine musikalisch-kulturelle Lebensreise führte Dich in früheren Jahren auch nach Südafrika. Was oder wo ist Heimat für Dich?
Die Heimatfrage! Fühlt sich an wie Glatteis. Irgendwie dünkt es mich, dass das Wort zu sehr belastet ist. Klar bin ich Berner, in Zü- rich zuhause, ich sehe mich aber eher als Weltenbummler. Ich bin der Fernwehtyp. Mein Entdeckerdrang und meine Neugier führten mich damals auch nach Südafrika, wo ich mit tollen Musikern jammen und ein Projekt realisieren konnte, wo sogar Angéli- que Kidjo involviert war.
Last but not least: Wenn Du der Menschheit spontan einen Tipp/Rat- schlag mit auf den Weg geben wolltest, was wäre da ein zentrales Anliegen? Und weshalb?
Oh, du machst es mir nicht einfach am Schluss... Auch ich war überrascht und besorgt, als wir während der Pandemie so rasch von gelebter Solidarität in eine gespal- tene Gesellschaft gerutscht sind. Nur schon die ganze Impfthematik hat die Gesellschaft gespalten wie nie zuvor. Mein Tipp wäre, sich wieder mehr zuzuhören, statt zu reden (und zu verurteilen). Da käme man entschieden weiter. Kommunikation ist ein wichtiges Gut.
Herzlichen Dank für das spannende Ge- spräch und weiterhin «good luck» mit dei- nen anstehenden Projekten.
pablonouvelle.com
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