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 Der alte Maler und seine Laternen
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: Privatbesitz Robert Develey
Wenn im Herzen Basels um Punkt vier Uhr früh das Licht ausgeht, wissen alle: Jetzt geht’s los! Für einen Moment herrscht erwartungsvolle Stille. Kurz darauf er- tönt das Kommando des Tambourma- jors: «Morgestraich, vorwärts, Marsch». Die Cliquen machen sich langsamen Schrittes auf ihren Weg, begleitet vom hellen Ton der Piccolos und einem Trom- meldonner, der die ehrwürdigen Mau- ern der Basler Altstadt erzittern lässt. Jedes Jahr ein faszinierender Moment, dessen uriger Magie sich niemand ent- ziehen kann. Ein Moment, der Tausende begeistert und für den hunderte Aktive und Helfende das Jahr über ehrenamt- lich hingearbeitet haben in unzähligen Stunden Fronarbeit sowie mit geistigem und finanziellem Einsatz.
Dieses Jahr wurde einer von ihnen zum ersten «Fasnächtler des Jahres» gefei- ert – der Anfang einer neuen Tradition, ins Leben gerufen von Patrick «Almi» Al- mandinger – und geehrt als wohl ältester Laternenmaler: der 92-jährige Robert Develey. Als praktizierender Arzt malte er Laternen seit 1966, lernte damals Pic- colo spielen und trug fortan zu Glanz, Glorie und Ruhm der Basler Fasnacht bei. Wen wundert’s? Der Name Robert hat einen mittelalterlichen Ursprung und bedeutet «strahlen, glänzend, stolz». Nun, dieser Robert brachte viele Later- nen zum Strahlen, leistete glänzende Arbeit und darf darauf füglich stolz sein. Er empfing mich in seinem Atelier, um- geben von Zeugen eines vielschichtigen Lebens.
Wann haben Sie mit Malen angefangen?
Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich mit Hingabe gezeichnet. Die Laternen- malerei kam viel später dazu. Meinen ersten Kontakt mit der Basler Fasnacht hatte ich, als meine Eltern aus der Romandie hierher- zogen, wo mein Vater Grenz-Tierarzt wurde. Als Vaudois hatte er mit der Fasnacht nichts am Hut, aber meine Mama nahm mich zum Akklimatisieren als fünfjährigen Binggis mit, um den Cortège vorbeiziehen zu sehen. Das war 1937. Anschliessend ging’s in die
Gassen, hinter den Schissdräck-Zügli her- laufend und zu eben allem anderen, was zur Basler Fasnacht gehört. Dort erwischte mich das Virus «Carens Basilensis» (bene- volent, nicht therapierbar), beglückt mich seitdem jährlich erneut und trägt so zu mei- ner geistigen Beweglichkeit bei. Das Virus überlebte den kriegsbedingten, langen Fas- nachts-Verzicht der darauffolgenden Jahre.
Und wie hat das Virus überlebt?
Dank dem geistigen Nährboden, von dem die Basler Fasnacht lebt. Erst 1946 ging’s wieder richtig los – zusammen mit einem Ka- meraden. Ich war 16, hatte mir meine erste Larve gekauft und trug als Kostüm die halbe Pfadi-Uniform meiner Schwester. Mitma- chen war angesagt, nicht perfektes Ausse- hen. Wir zogen in der Stadt herum, besuch- ten Beizen, soffen fremde Gläser leer (Ja, damals konnte man das gefahrlos!) und hat- ten es grossartig. Das war mein zweites Fas- nacht-Erlebnis. Dann war lange nichts, ich hatte mich um mein Studium zu kümmern. Ich machte etwas Guggenmusik bei den «Lungenkotzers», dazu brauchte ich keine Vorübung. Dann war fertig mit Fasnacht, weil ich in Spitälern in der Romandie arbei- tete. Nach meiner Rückkehr reanimierte ich meine Kontakte zur Fasnacht, spielte wieder in einer Gugge, aber, angesichts der fort- laufenden Veränderung, mit schwindender Begeisterung.
Veränderung?
Ja, allerdings. Als ich mit der ersten Gugge spielte, ging es darum, bekannte Stücke bis kurz vor deren Unkenntlichkeit zu ver- hunzen. Das war für uns echte «Gugge- muusig». Rythmus und Tempo mussten ei- nigermassen stimmen und sonst gar nichts. Formation und Wahl der Instrumente waren ebenso egal wie die Richtung der Marsch- route oder die Länge der Pausen. Haupt- sache, wir und die Fasnächtler hatten eine Riesengaudi. Heute sind aus den Guggen waschechte Brass-Bands geworden, be- setzt mit ausgewiesenen Bläsern. Die ma- chen sogar Marsch-Übungen in der Langen Erle, wie im Militär! Dass die Marschrouten geregelt sein müssen, ist mir klar bei die- ser Menge, die unterwegs ist. Und dies in Begleitung vieler, die bloss unterhalten sein wollen von unserer Fasnacht aber kei- nen Schimmer haben. Nun, ich darf von
schönen Zeiten berichten und fühle ein we- nig Wehmut, wenn ich mitansehen muss, wie das Wesentliche der Fasnacht langsam verloren geht, wie so vieles, das uns einmal lieb und teuer war.
Trotzdem sind Sie bis heute dabei?
Natürlich, damals hat ja die Malerei erst an- gefangen! Als Welscher erkannte ich bald, wie sehr man sich in den «drey schenschte dääg» ausleben darf und wie sehr man sich in Basel verwirklichen und entfalten kann. Darum eröffnete ich hier 1966 meine Praxis. Seit 1967 bin ich verheiratet mit der Toch- ter vom «Blaggette-Müller». Wir haben drei wunderbare Töchter und drei ebenso wun- derbare Grosskinder.
Eines Abends traf ich am Spalenberg drei Bekannte, alles eingefleischte Fasnächtler. Sie überredeten mich, Piccolo spielen zu lernen und am Cliquenleben teilzunehmen. Bereits ein Jahr später malte ich die erste Laterne für die «Revoluzer», die Clique, die mich damals aufnahm, der ich seither an- gehöre und auch deren Chronist ich wurde. Ich hatte nie eine künstlerische Ausbildung. Malen, Zeichnen und Schreiben waren mein Ausgleich zum Beruf als Mediziner. Trotz- dem entstanden in meinem Atelier, nebst vielem anderem, über 20 grosse Laternen, ca. 130 Kopflaternen und etliche Stecken- Laternen. Also muss ich meine Sache ir- gendwie richtig gemacht haben, getreu meinem Lebens-Motto: Sachez ce que vous faites, aimez ce que vous faites et croyes en ce que vous faites.
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