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 Silke Lemmens aus Baar ist auf der Überholspur
Text und Interview: Bianca Ritter Foto: athletix.ch
Silke Lemmens ist schnell, sehr schnell. Die Schweizer Sprinterin mit belgischen «Löwen-Wurzeln» ist auf der Überhol- spur. Wir machen mit ihr einen kurzen Boxen-Stopp.
Liebe Silke, am 30. November 2022 wirst Du 23 Jahre jung. Zuvor hast Du noch eine Marke gesetzt letztes Jahr mit der Bronze-Medaille über 400 m an der U23-EM im estnischen Tallinn. Wie fühlt sich das heute rückblickend an?
Ich habe immer noch das Gefühl, als wäre es gestern gewesen. Vor den Meisterschaf- ten habe ich an mir gezweifelt, weil ich an Wettkämpfen bisher nicht zeigen konnte, was ich draufhabe. Die U23-EM in Tallinn hat jedoch alles für mich verändert. Rückbli- ckend bin ich einfach stolz auf mich selber, dass ich das Unmögliche möglich gemacht habe. Jetzt weiss ich, dass ich gut genug bin. Wenn es darauf ankommt, kann ich die Leistung bringen.
Deine Teamkollegin Yasmin Giger holte in Tallinn ebenfalls Bronze, über 400 m Hürden. Ihr beide sprintet für den LC Zü- rich. Offenbar macht der Verein da etwas richtig. Was macht diesen Erfolg Deiner Meinung nach aus?
Nicht nur Yasmin Giger aus unserer Ver- eins- und Trainingsgruppe hat bei den Meisterschaften eine Medaille gewonnen. William Reais und Ricky Petrucciani, die ebenfalls im LC Zürich und Teil unserer Trai- ningsgruppe sind, wurden Europameister über 200 m bzw. 400 m. Vier Medaillen für unsere Gruppe. Es war unglaublich. Das Besondere an unserer Trainingsgruppe ist, dass wir alle hohe Ziele haben, aber zu- sammenarbeiten, um uns gegenseitig zu helfen. Wir sind nicht nur Trainingspartner, sondern gute Freunde.
Erste internationale Erfahrungen konn- test Du 2018 an der U20-EM im finni- schen Tampere sammeln. Seither geht Dein Stern immer mehr auf. Was sind die nächsten sportlichen Hürden, die Du anpeilst?
Seit ich von 200 m auf 400 m umge- stellt habe, konnte ich meine persönliche
Bestleistung in grossen Schritten verbes- sern. Ich möchte auf jeden Fall dieses Jahr eine 51er-Zeit laufen. 2021 habe ich ge- lernt, dass ich mir herausfordernde Ziele setzen muss. Deshalb möchte ich mich für die Weltmeisterschaften in Eugene über 400 m qualifizieren und das Halbfinale bei
Wie sieht Dein Privat-/Familienleben aus? Welche Pläne hast Du für deine private Zukunft?
Als ich neun Jahre alt war, zogen meine El- tern, mein Bruder und ich in die Schweiz. Ur- sprünglich war der Aufenthalt in der Schweiz nur für höchstens fünf Jahre geplant, aber wir alle haben uns in das Land verliebt. 2018 habe ich meinen Schweizer Pass be- kommen, was für mich auch irgendwie eine symbolische Geste war. Es ist vielleicht kit- schig, aber mein Hauptplan für meine pri- vate Zukunft ist es, hier in der Schweiz mein Leben weiter aufzubauen und jeden Tag in dem schönen Land zu geniessen.
Was mich noch interessiert: Was ist diese Silke Lemmens für ein Mensch? Was macht Dich aus? Und was sind Deine Stärken/Schwächen? Erzähl mal.
Das ist eine sehr gute Frage. Wenn du mich letztes Jahr gefragt hättest, wäre meine Ant- wort wohl anders ausgefallen. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Meine Eltern ha- ben mir schon in jungen Jahren beigebracht, bei allem was ich tue, immer mein Bestes zu geben. Ich kann also sagen, dass ich eine Perfektionistin bin, aber ich verliere sehr schnell den Glauben an mich selbst, wenn etwas nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Die U23-EM hat mir aber die Augen geöff- net. Ich habe angefangen, mehr an mich zu glauben und gelernt, ruhig zu bleiben, wenn die Dinge nicht auf Anhieb so laufen, wie ich es mir vorstelle.
Zu guter Letzt: Wo würdest Du auf inter- nationalem Parkett den Hebel ansetzen, wenn Du die Macht hättest, in der heuti- gen Welt etwas zu verändern?
Das ist eine sehr schwierige Frage, denn meiner Meinung nach gibt es so viele Dinge, die verändert werden müssten. Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich allgemein sagen, dass alle die gleichen Rechte haben sollten: Jeder sollte Zugang zu Bildung, einem Dach über dem Kopf und Gesundheitsversorgung haben, aber auch Geschlechter- und ethnische Gleichheit sind sehr wichtig.
Herzlichen Dank für das erfrischende Ge- spräch und weiterhin ganz viel Glück auf Deiner Zielgerade!
den Europameisterschaften über erreichen.
400 m
War Sport eigentlich schon immer Deine Welt? Wie hat das alles begonnen?
Es begann in Belgien, als ich acht Jahre alt war. Sportunterricht in der Schule hat mir schon immer gefallen. Leichtathletik war stets mein Favorit. Es gab auch ein jährli- ches 1000-m-Rennen gegen zwei andere Schulen, das ich immer gewann. Mein Um- feld hat mich ermutigt, dem lokalen Leicht- athletik-Verein beizutreten, also habe ich es versucht. Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen.
Welchen Interessen oder Leidenschaften gehst Du, abgesehen von der Leichtath- letik, sonst noch nach?
Sicherlich nimmt die Leichtathletik viel Zeit in Anspruch. Daneben studiere ich auch an der Universität Zürich. Durch Sport und Bil- dung bleibt nicht viel Zeit für andere Akti- vitäten. Wenn ich jedoch Zeit mit Freunden und Familie verbringe, geniesse ich das in vollen Zügen. Ich bin gerne draussen, ge- niesse die Natur und probiere verschiedene Sportarten aus. Gleichzeitig mag ich es, manchmal faul zu sein und zu Hause zu ko- chen oder fernzusehen. Da ich in meinem Alltag so aktiv bin, brauche ich diese kleinen Relax-Momente für mich.
Was für Beeinträchtigungen musstest Du als aktive Sportlerin bisher in der ganzen Covid-Hysterie in Kauf nehmen?
Seit dem Lockdown im März 2020 haben die unterschiedlichen Massnahmen un- sere Trainings stark beeinflusst. In den ersten Monaten mussten wir jedes ein- zelne Training zu Hause allein machen. Die Ungewissheit, ob und wann Wettkämpfe stattfinden würden, war allgegenwärtig. Ausserdem wollten wir alle gesund bleiben. Mit jeder Corona-Welle mussten wir lernen flexibel zu sein, was den Trainingsort, die Trainingspartner, den Trainingsplan und die Festlegung neuer und anderer Ziele angeht.
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