Page 51 - Bo_Aargau_15
P. 51

  Shobu hajime!
Text und Interview: Maximlian Marti Fotos: Boris Radjenovic
Wenn der Ringrichter auf dem Tatami mit diesem Kommando den Kampf er- öffnet, ist Elena Quirici in ihrem Ele- ment. Die 27-jährige Profi-Karateka aus Schinznach-Dorf ist dreifache Elite Europa-Meisterin im Kumite (Japanisch: Begegnung der Hände), dem Kampf zweier Gegner ohne vorherige Abspra- che der Techniken. Sie zählt in dieser Kampfsportart in ihrer Gewichtsklasse bis 68 kg zur Weltelite und war bei der Abschlussfeier der Olympischen Som- merspiele 2021 in Tokyo stolze Fahnen- trägerin der Schweizer Delegation.
Elena, wie begann Deine sportliche Karriere?
Meine Mutter war Karate-Lehrerin und nahm mich gelegentlich mit in den Dojo, wenn Trainings stattfanden. Auch meine zwei äl- teren Brüder sind Karatekas, so wurde ich von Anfang an mit dieser Sportart quasi ma- riniert. Schon früh beeindruckten mich die Höflichkeitsrituale vor dem Kampf und der Respekt, den sich alle Beteiligten zollten. Als ich ungefähr vier war, durfte ich zum ers- ten Mal im Karate Gi, unserer traditionellen Kleidung, auf dem Tatami stehen und mit- machen. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich mich geschlagen habe, aber es war der Beginn einer Passion, die einen Grossteil meines Lebens prägt. Es war für mich eine wundervolle Zeit. Für ein reguläres Training war ich noch zu jung. Heute wird bereits mit jüngeren Kindern ein strukturiertes Training gemacht. Ich war in einer Gruppe, wo ich mich austoben konnte, dabei aber immer mehr spürte, dass ich in meinem Biotop bin. Ich war ein polyaktives Kind, bewegte mich gerne in der Natur, insbesondere im Wald, und bin eine Zeit lang geritten. Am stärksten wurde aber der Ruf zum Karate.
Du bist gelernte Kauffrau. Wann hast Du Dich entschlossen, Profi-Karateka zu werden?
Ja, ich machte die normale Oberstufe, wo mir bereits Zeit eingeräumt wurde für mein Training. Darauf folgte das Sport-KV in Zürich an der United School of Sports, das aufgrund des Trainingsplans vier Jahre
dauerte anstelle der üblichen drei. Mir war wichtig, neben der sportlichen auch eine solide kommerzielle Ausbildung vorweisen zu können.
Was hat Karate, wie man es im Film zu sehen bekommt, gemeinsam mit dem Karate, das Du als Sportart betreibst? Viel und doch wenig. Beide Versionen ver- langen nach athletischer Fertigkeit und körperlicher Fitness. Ohne seriösen Willen und harte Arbeit ist das nicht zu machen. Wie viel die Film-Kampfkünstler trainieren, weiss ich nicht – wahrscheinlich spielen Regie, Choreografie, Beleuchtung und Ka- mera-Winkel eine ebenso grosse Rolle wie die sportliche Technik. Im Gegensatz zum Film, wo die Kontrahenten sich in der Regel mit Verletzungs-, wenn nicht mit Tötungs- absicht gegenüberstehen, betreten wir im Sport die Tatamis mit der Absicht, entweder im Training an unserer Technik zu arbeiten, oder im fairen Zweikampf zu gewinnen, aber niemals, um zu verletzen. Natürlich kann es ab und zu Prellungen geben wie in je- der Sportart, aber dank unserem Training und der gepolsterten Ausrüstung kommt es selten zu ernsthaften Verletzungen. Karate lehrt nicht nur, wie man sich verteidigen kann, es ist auch ein philosophischer Weg- weiser im Leben, der uns Selbstkontrolle, Anpassungsfähigkeit, Respekt, sogar De- mut lehrt und sonst noch so einiges, was das Leben in Gemeinschaft vereinfacht.
Jetzt zu Tokyo – Du hattest Dich für die Olympischen Spiele 2021 qualifiziert, bist angetreten mit berechtigter Hoffnung zu gewinnen, um dann enttäuscht zu werden. Ja, es war eine herbe Erfahrung, aber Ka- rate ist nicht genau messbar, daher sind menschliche Entscheidungen zu akzeptie- ren. Ich denke, dass der Verlust einer Me- daille nicht so sehr ins Gewicht fällt, wenn man sich zu den 10 Besten der Welt zählen und überhaupt an der Olympiade teilneh- men darf. Dafür danke ich allen, die mir das ermöglicht und mir mit ihrem grossartigen Empfang bestätigt haben, dass sie an mich glauben und mich weiterhin begleiten wer- den zum nächten Ziel.
Und welches ist das?
Die WM in Dubai.
 251






















































































   49   50   51   52   53