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 Ein Hoch auf die kleinen Städte
Text und Interview: Anicia Kohler
Foto links: Claire Honegger, Foto rechts: Chris Iseli
Valerio Moser ist Slampoet und Kaba- rettist – und Langenthaler mit Leib und Seele. Sein neues Programm «König der Kleinstadt» ist seiner Heimatstadt gewidmet.
Valerio, was bedeutet Dir Langenthal?
Sehr viel – ich bin halt hier aufgewachsen. Ich finde es mega schön, in einer Kleinstadt zu sein. Ich kenne die Menschen, ich kenne die Wege, ich weiss, wie alles funktioniert. Wenn ich in eine Beiz gehe, kenne ich im- mer jemanden.
Du bist auf der ganzen Welt unterwegs und trittst mit deutschen und englischen Texten auf – manchmal aber auch mit schweizerdeutschen. Wie geht das? Früher habe ich international meistens auf englisch performt. Vor ein paar Jahren habe ich es in Tokio einfach so einmal mit einem deutschen Text versucht, und ge- merkt, dass das tatsächlich funktionieren kann! Später habe ich in New York mit ei- nem schweizerdeutschen Text sogar einen Poetry Slam gewonnen. Es gibt einfach Texte, die nur schon vom Klang her funkti- onieren. Wir wachsen ja auch mit Musik auf, deren Texte wir nicht verstehen. Das finde ich sehr spannend!
Du trittst häufig an Poetry Slams auf, und organisierst sie auch selber. Dürfen da grundsätzlich alle auf die Bühne stehen, die das möchten?
Auf jeden Fall. Alle Bühnen sind sehr of- fen. Ich habe es schon erlebt, dass jemand einfach auf dreissig gezählt hat, während jemand anderes einen unglaublich kunst- vollen Text vorgetragen hat. Es gibt im Poetry Slam keine formellen Grenzen. In der Schweiz bekommt man fünf bis sechs Minuten, in den USA drei, und innerhalb dieser Zeitspanne kann man vortragen, was man möchte. In Bern gibt es monat- lich mehrere Slams, wo man sich einfach melden und mit seinem Text auftreten kann.
Du bist auch Kabarettist und hast nach mehreren Programmen im Duo nun ge- rade Dein erstes abendfüllendes Solo- programm lanciert. Was gehört alles dazu, bis man auf die Bühne stehen und 90 Minuten lang reden kann?
Ziemlich viel (lacht). Zuerst geht es einmal darum, ein Thema zu finden. Ein Thema, das einen sehr beschäftigt – und das auch andere interessieren könnte. Und dann geht es ums Ideensammeln – bei diesem Programm habe ich mir zum Ziel gesetzt, 70 Ideen zu finden. Diese muss man arran- gieren wie einen Film und sie in eine Text- form bringen. Dann habe ich das Ganze mit einer Regisseurin inszeniert und mit einem Musiker Songs geschrieben, damit das Programm abwechslungsreich wird. Später kam eine Grafikerin ins Spiel, und die Agen- tur. Es sind sehr viele Menschen involviert in so einen Prozess.
Wenn Du nun Deinen König der Klein- stadt in der Ostschweiz aufführst – kann sich eine Thurgauerin mit einem Langen- thaler identifizieren?
Ich habe Langenthal bewusst nicht erwähnt im Programm. Obwohl Langenthalerinnen und Langenthaler natürlich schon erkennen, um welche Beiz es geht! Aber ich gebe dem Gemeindepräsidenten, der Barkeeperin und allen anderen keine Namen. Mit der Idee, dass jemand in Frauenfeld denken kann: So ist das
bei uns auch. Kleinstädte in der Schweiz sind sich ziemlich ähnlich, glaube ich.
Du bist ja sehr zufrieden in Langen- thal. Dabei geht man gerade bei Künstler*innen häufig eher davon aus, dass sie viel lieber in Grossstädten leben. Möchtest Du mit Deinem Pro- gramm auch bekräftigen, dass es ganz ok ist in der Kleinstadt?
Das kommt sogar explizit so vor. Ich frage mich im Stück: Warum zieht es mich eigent- lich nicht weg? Ich finde es schon sehr spannend in der Schweiz. Von Manhattan nach Brooklyn bin ich länger unterwegs als von Langenthal nach Lausanne. Ich habe den Drang deshalb nicht, aus der Klein- stadt wegzuziehen. Denn was man in der Kleinstadt macht, kann so viel bewirken. Als vor ein paar Jahren jemand in Langen- thal einen Plattenladen eröffnet hat, führte das dazu, dass immer mehr Leute sich Plat- ten kauften und anhörten. Oder neulich hat eine tolle Cocktailbar eröffnet. Das wertet die Stadt auf. Es braucht nicht viel! Es rei- chen zehn Leute, die ihre coolen Ideen in der Kleinstadt umsetzen. Das möchte ich mit meinem Stück «König der Kleinstadt» unterstützen. Wir sind alle König*innen, wo wir wohnen. Bleibt doch in eurer Kleinstadt und belebt sie!
www.valeriomoser.ch
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