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 «Der Mountainbikesport hat eine grosse Zukunft in der Schweiz»
Text und Interview: Isabel Hempen Fotos: SCOTT-SRAM
Nino Schurter hat den Mountainbikesport in den vergangenen Jahren dominiert wie kein Zweiter: Der 35-jährige Cross-Coun- try-Fahrer ist 8-facher Weltmeister sowie 7-facher Gesamtweltcupsieger und holte von 2008 bis 2016 den ganzen olympi- schen Medaillensatz – Bronze, Silber und vor fünf Jahren Gold. Gerade ist der sym- pathische Bündner von den Olympischen Spielen in Tokio zurückgekehrt, wo er Vierter wurde. Es ist Mitte August, und oberhalb von St. Moritz trainiert er bereits für die nahenden Weltmeisterschaften.
Nino, wie geht es Dir?
Gut – wobei man sich nach einem Gross- event wie Olympia immer erst mal neu sortie- ren muss. Man hat über Jahre auf dieses eine Ziel hingearbeitet und plötzlich ist da einfach nichts mehr. Da ist dann im ersten Moment eine Leere, selbst wenn man erfolgreich war.
Bist du zufrieden mit Deinem vierten Platz in Tokio?
Natürlich hätte ich gerne nochmals eine Me- daille gewonnen. Ich bin schon enttäuscht, andererseits habe ich an dem Tag das Ma- ximum herausgeholt. Meine Trainingsresul- tate sind immer noch wie zu meinen besten Zeiten, aber dieses Jahr war halt einfach irgendwie der Wurm drin. Trotzdem, mein schlechtestes Resultat an vier Olympischen Spielen ist der vierte Platz – das ist okay.
Was sagst Du zum Olympia-Dreifach- sieg der Schweizer Mountainbikerinnen Jolanda Neff, Sina Frei und
Linda Indergand?
Krass! (lacht) Das war schon eindrücklich. Da muss man viel dem Trainer Edmund Telser gutschreiben, der mit den Frauen ein super Konzept erarbeitet hat. Sie waren die einzigen, die mit den schwierigen Wetterbe- dingungen umgehen konnten. Nach meinem Olympiasieg 2016 und der Heim-WM in Len- zerheide 2018 gibt das unserem Sport wie- der einen riesigen Push in der Schweiz, das ist cool.
Wirst Du in Paris 2024 wieder antreten?
Das kann ich heute noch nicht sagen. Olym- pia würde mich sicher nochmals reizen, es
hängt aber auch davon ab, wie die nächsten Wettkämpfe laufen. Ich muss schon das Ge- fühl haben, dass ich in drei Jahren noch um eine Medaille mitfahren kann, damit ich es nochmals versuche. Sonst würde ich den Fo- kus auf Langdistanzrennen legen, die werde ich sicher noch einige Jahre machen.
Du sagtest einmal, dass Du kein Mental- training machst – wie spornst Du Dich selbst an?
Tatsächlich habe ich dieses Jahr mit einem Mentaltrainer gearbeitet, weil ich in eine neue Phase gekommen bin – kann ich mich auch motivieren bei Resultaten, die nicht so be- rauschend sind? Wenn du dir gewohnt bist, um den Sieg mitzufahren, und auf einmal als Zehnter im Weltcup unterwegs bist – da stellst du dir schon Fragen. Das Mentale ist immer noch meine grosse Stärke, weil ich mich durch positive Ereignisse und gute Re- sultate immer selbst aufbauen konnte. Das Mentaltraining hat mir vor allem gezeigt, dass ich in meiner Karriere vieles automatisch richtig gemacht habe.
Derzeit machst Du eine Ausbildung
zum Helikopterpiloten.
Ich war schon als Kind fasziniert von den Piloten, die in den Bergen Menschen retten. Als letztes Jahr während Corona alles ab- gesagt war, meldete ich mich deshalb kurz- fristig bei einer Flugschule an. Mittlerweile habe ich den Privatpilot abgeschlossen und fliege wahrscheinlich nebenbei weiter. In den vergangenen 15 Jahren war alles dem Sport untergeordnet. Es machte Spass, wieder ein- mal etwas komplett Neues zu lernen.
Du bist im Val Lumnezia aufgewachsen, lebst jetzt mit Deiner Frau und Deiner Tochter in Chur – was bedeutet Dir der Kanton Graubünden?
Heimat! Für mich der schönste Platz auf Er- den und gerade für den Mountainbike-Sport ein Paradies. Ich bin schon sehr weit her- umgekommen, aber ich habe noch keinen Ort gefunden, der zum Biken so abwechs- lungsreich und schön ist wie der Kanton Graubünden.
Dein Lieblingsort?
Ich bin oft auf dem Churer Hausberg, dem Mittenberg. Es hat da ein schönes Bänkli mit einer tollen Aussicht und eine Feuerstelle, wo wir als Familie auch schon Bräteln waren. Mehrmals die Woche laufe ich oder fahre mit dem Velo rauf.
Zum Schluss: Wie siehst Du die
Zukunft des Mountainbikesports
in der Schweiz?
Immer mehr Junge haben Freude daran, und mit den schwächer werdenden Wintern merken auch die Winterdestinationen, dass im Sommer das Biken attraktiv ist. Neben Cross Country werden dadurch auch bislang nichtolympische Disziplinen stärker werden. Wir haben in der Schweiz die optimale Inf- rastruktur, ich bin überzeugt, dass wir bald auch mehrere top Downhillfahrer:innen se- hen werden. Der Mountainbikesport hat eine grosse Zukunft in der Schweiz.
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