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Das nennt man wohl Heimatgefühl
Text und Interview: Elsener Steinmann Regula
Bei uns war sie «Die Standesbeamtin» und kämpfte in «Die göttliche Ordnung» für das Frauenstimmrecht. Marie Leu- enberger gehört aber zu den wenigen Schweizer Schauspielerinnen, die auch in Deutschland höchst erfolgreich sind.
So spielt sie seit Herbst 2020 in der neuen ARD-Reihe «Ein Krimi aus Passau» die Hauptrolle und drehte kürzlich an der Seite von Moritz Bleibtreu und Heiner Lauterbach die Sat 1-Serie «Blackout».
Geboren in Berlin und aufgewachsen in Basel, lebt sie seit vielen Jahren in ihrer Ge- burtsstadt. Sie ist Mutter eines achtjährigen Sohnes sowie einer sechsjährigen Tochter – und weiss auch mit 41 Jahren nicht, was sie anstelle der Schauspielerei reizen könnte, wie sie in unserem Gespräch zugibt.
In einer Zeitschrift über die Nordwest- schweiz mit dieser Frage zu starten, ist etwas fies... Wir tun es trotzdem: Wie viel der ursprünglichen Baslerin steckt noch in Ihnen?
Marie Leuenberger: (überlegt einen Mo- ment) Ich lebe seit über 20 Jahren nicht mehr in Basel, aber denke, was man in der Kindheit erlebt, prägt einen nachhaltig. So ist bei mir ist der Wunsch tief verankert, im Umgang mit anderen möglichst zuverlässig und freundlich zu sein.
Ist das in Berlin so anders?
Berlin ist eine Grossstadt, die Menschen leben hier viel anonymer. In der Schweiz fühle ich mich stärker beobachtet, im Sinne von: Hat sie ihr Kaugummi-Papierli auch wirklich in den richtigen Abfallkübel gewor- fen? (lacht) In Berlin gilt: Leben und leben lassen. Das ist einerseits toll, weil man sich sehr frei fühlt. Andererseits wünschte ich mir manchmal, die Menschen hier würden sich ein bisschen mehr umeinander kümmern.
Und was verbinden Sie spontan am meisten mit Ihrer alten Heimat?
Die Luft!
Die Luft?
Ja, die Luft und die Landschaft! Wenn ich in Basel ankomme, die Stadt, den Rhein und die Landschaft mit ihren sanften Hügeln sehe, geht mein Herz auf. Das gibt’s bei uns im Norden ja nicht, da ist jedes «Hügeli» schon fast ein Berg! Diese Bilder lösen bei mir eine gewisse Vertrautheit aus. Das nennt man wohl Heimatgefühl ...
Sie sagten in einem Interview, dass es Sie überraschte, wie sehr Sie Ihre Eltern und Geschwister in Zeiten von Corona ver- missten. Warum überraschte Sie das? War das vorher denn anders?
Nein, aber ich konnte ja ungehindert reisen und meine Familie jederzeit sehen. Plötzlich war das nicht mehr möglich. Genau dann, als ich ganz viel Zeit hatte. Vorher war ich ständig für Dreharbeiten unterwegs. Dann kam die totale Vollbremsung – und mit ihr ab und an ein Gefühl des Alleinseins. Dennoch weiss ich, warum ich in Berlin bin und auch bleiben werde. Zudem sind auch meine Kinder inzwischen hier verwurzelt.
Sie drehten kürzlich eine Sat 1-Serie, 2021 stehen zwei neue Folgen des «Passau-Krimis» an. Wie muss man sich Dreharbeiten derzeit vorstellen?
Es herrschen natürlich strengste Auflagen. Am Set herrscht Maskenpflicht, nur gerade vor der Kamera dürfen wir sie ausziehen, werden aber regelmässig getestet. Ich denke, das wird noch eine Weile so weiter- gehen. Grundsätzlich bin ich aber einfach froh und dankbar, dass ich arbeiten darf. Uns Filmschaffende hat es nicht so hart getroffen wie andere in der Kulturbranche.
Ihre letzte Schweizer Produktion «Stürm: Bis wir tot sind oder frei» über den soge- nannten «Ausbrecherkönig» Walter Stürm (1941-99) soll im Herbst 2021 in die Kinos kommen. Sie haben selten so sehr von einem Film geschwärmt ...
Allerdings! Es ist eine Geschichte, die einen berührt, reinzieht und über das Leben nachdenken lässt. Und für mich persönlich war es einfach eine grandiose Frauenrolle (Stürms Anwältin Barbara Hug, 1946-2005, Anmerk. der Red.). Diese Frau ist so unty- pisch! Sie ist ruppig, raucht, trinkt, flucht,
Für ihre Rolle als Barbara Hug in «Stürm: Bis wir tot sind oder frei» wurde Marie Leuenberger am renommierten «Black Nights Film Festival» in Tal- linn 2020 als beste Darstellerin ausgezeichnet.
nimmt wegen ihrer Behinderung Morphium, liebt so sehr und kämpft ebenso leiden- schaftlich gegen Ungerechtigkeit. Es ist im- mer etwas komisch, wenn ein Schauspieler das sagt, aber dieser Film ist wirklich ein Gesamtkunstwerk.
Man spürt allein in dieser Antwort, wie viel Ihnen Ihr Beruf bedeutet. Zum Glück! Denn laut eigenen Aussagen hatten Sie gar nie einen Plan B ...
(Lacht herzhaft) Ja, das ist so! Die Suche nach dem Plan B begleitet mich schon seit der Pubertät. Ich wusste eigentlich immer, dass ich Schauspielerin werden will, ging aber mit 16 trotzdem mal zur Berufsbera- tung und machte allerhand Tests. Raus kam, dass all die vorgeschlagenen Berufe zwar sicher spannend wären, aber nicht meine Welt. Zum Glück war ein Plan B aber bisher nie nötig. Ich hoffe sehr, dass es so bleibt.
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