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 Mit dem Wickelfisch ins Meer
Text und Interview: Anicia Kohler Fotos: Nemanja Glumac
Unterwegs in der ganzen Welt, bleibt Opernsängerin Katarina Bradić mit Basel speziell verbunden – dank ihrem Wickel- fisch, den sie heute noch regelmässig im Meer vor Barcelona benutzt.
Im November 21 wird Mezzosopranistin Ka- tarina Bradić zum zweiten Mal am Theater Basel gastieren. Im Gespräch gibt sie einen Einblick in ihren Werdegang, der geprägt ist vom Krieg im heutigen Ex-Jugoslawien in den 90er Jahren – und von der Kraft ihrer Mutter.
Frau Bradić, Sie haben bereits vor ein paar Jahren in Basel gesungen. Haben Sie Erinnerungen an Ihre Zeit in der Stadt?
Oh ja, natürlich! Ich habe meine Zeit in der Stadt sehr genossen. Ich finde Basel aus- serordentlich interessant. Nur schon die Lage zwischen drei Ländern. Basel hat ein grosses Kulturangebot, und alles ist mit dem Tram und dem Zug erreichbar. Als ich damals ankam, war es Frühling. Ich hörte Geschichten davon, wie die Leute im Som- mer im Rhein schwimmen gingen – ich fand, das klang verrückt! Und als ich es selber ausprobiert habe, fand ich es natürlich toll. Wie heissen diese Taschen?
Wickelfisch!
Genau! Ich habe mir einen gekauft, und ich nehme ihn heute noch ans Meer mit.
War Ihnen schon als Kind klar, dass Sie Musikerin werden möchten?
Meine Mutter realisierte früh, dass meine Schwester und ich an Musik interessiert wa- ren, und schrieb uns an einer Musikschule ein. In Serbien, wo ich aufgewachsen bin, gibt es nicht nur reguläre Primarschulen, sondern auch Musik-Primarschulen, wo man ein Instrument spielen lernt, Gehörbil- dung hat und im Chor singt. Als Kind habe ich immer gesungen. Manchmal frage ich mich, ob das nicht ein bisschen anstren- gend war für die anderen (lacht). Es war einfach meine Art, mich auszudrücken.
Und wie sind Sie auf die Oper gekommen?
Ich bin aus einer kleinen Stadt im Süden Serbiens. Es gab dort keine Opernhäuser.
Meine erste Opernvorstellung habe ich erst mit neunzehn Jahren gesehen, in meinem ersten Studienjahr an der Musikakademie. Es war La Traviata (von Giuseppe Verdi, Anm. d. Red.). Das werde ich nie verges- sen. Als sich der Vorhang hob, war ich so aufgeregt! Es war wie eine Explosion, das ganze Ensemble auf der Bühne, ein Chor, die Solisten, die Kostüme. In diesem Mo- ment bin ich der Oper als Kunstform ganz und gar verfallen.
Als Sie noch ein Kind waren, begann der Krieg in Bosnien und Kroatien, und später wurde Serbien bombardiert. Haben Sie diese Erlebnisse als Musikerin geprägt? Natürlich. Sie beeinflussten mein ganzes Leben, wie das aller Menschen, die es er- lebt haben. Mein Vater verlor zu Beginn des Kriegs seine Stelle in einer slowenischen Fabrik, weil er Serbe war. Wir lebten vom knappen Einkommen meiner Mutter, das wegen der starken Inflation stündlich an Wert verlor. Während des Studiums lebten meine Schwester und ich – wir waren erst Teenager – allein in einer anderen Stadt. Die Bombardierungen waren wie extrem laute, stundenlange Erdbeben und machten uns grosse Angst. Zur Universität konnte man nur mit einem Militärschiff gelangen, weil die Brücken über die Donau zerstört waren. Wir konnten es uns monatelang nicht leis-
ten, zu unseren Eltern zu fahren. Meine Mutter – zweifellos eine Wonderwoman – schickte uns mit dem Zug selbst gekochte, eingefrorene Mahlzeiten zu. Sie versuchte alles, um es uns leichter zu machen.
Sie waren noch sehr jung. Hatten Sie je- mals Zweifel, ob das Musikstudium das Richtige für Sie war?
Musik war einfach mein Leben. Trotz dem Krieg versucht man, den Alltag aufrecht zu erhalten, jeden Tag aufzustehen und das zu tun, was man tun muss. Sehr hart war es deshalb, weil wir von unseren Eltern getrennt waren und überhaupt kein Geld hatten. Aus- zugehen und etwas zu trinken zum Beispiel war mehrere Jahre lang unvorstellbar.
Erinnern Sie sich an Lieder, die Sie mit Ihrer Schwester gesungen haben? Gab es Musik, die Ihnen Hoffnung gab?
Oh ja! Ich liebte es, einfach einen Song auszuwählen, die Akkorde herauszuhören und ihn zusammen mit meiner Schwester zu singen. Das taten wir auch zu Hause mit unseren Eltern. Wir hatten ein riesiges Repertoire, Lieder von kroatischen Künst- lern zum Beispiel, und auch viele serbische Volkslieder. Und ich merke auch, je älter ich werde, wie viel mir diese Lieder immer noch bedeuten.
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