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 Der ruhig mit der Unruh spielt
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: Andreas Fluri
Wer sein 300-jähriges Haus sieht, ist beeindruckt vom Original-Zifferblatt einer Turmuhr, das zeitrichtig auf der Fassade prangt. Wer sein Atelier betritt, sieht sich umgeben von mehr als einem halben Jahrtausend Entwicklung in me- chanischer Zeitmessung. Kuhschwänze wedeln über nautischen Präzisions- Chronometern, Uhrwerke komplett aus Holz klicken mit gotischen Meisterwer- ken um die Wette und ein nervöser Ku- ckuck pfeift pünktlich zur Stunde auf das Wunder einer hochkomplizierten Taschenuhr mit ewigem Kalender. Herr über all diese Kostbarkeiten ist der auf die Freundschaft mit alten Werten spe- zialisierte Andreas Fluri, seines Zei- chens Uhrmacher, Schmuckdesigner, Philosoph und Eigentümer der Uhren- und Schmuckwerkstatt.
Herr Fluri, wie kamen Sie zu Ihrem Metier?
Meine Grosseltern mütterlicherseits brach- ten ihr Wissen um die Uhrmacherei mit aus Frankreich in die Schweiz. Damals war es noch üblich, dass besonderes Wissen und wertvolle Erfahrungen an die Nachkom- men weitergegeben wurden als Grundlage von Familientraditionen. So kam es, dass meine Eltern als Uhrmacher und als Rha- billeure in der Uhrenindustrie arbeiteten während deren Blütezeit im Jura. Für mich war immer klar, dass ich Uhrmacher wer- den und die Tradition fortsetzen würde. Als gelernter Uhrmacher wäre ich fähig, Uhren herzustellen, habe mich aber voll und ganz dem Erhalt, der Wartung und Reparatur alter mechanischer Zeitmesser aller Art verschrieben.
Was fasziniert Sie so besonders an alten Uhren?
Mich fasziniert alles, was mit einfacher Ge- nialität und Erfindergeist zu tun hat, sei das im geistigen, künstlerischen, technischen, architektonischen oder handwerklichen Bereich. Als Uhrmacher in der sechsten Ge- neration stehen mir alte Uhren deshalb be- sonders nahe. Wann das Virus aktiv wurde, weiss ich nicht genau. Aber während an- dere Kinder draussen Fussball spielten und herumtobten, blätterte ich in Fachbüchern
über die unglaublich komplexe Geschichte der Zeiterfassung. Mir wurde klar, dass eine qualitativ hochwertig gearbeitete, richtig gepflegte Uhr etwas für die Ewigkeit ist. Sie wird zur Kostbarkeit, die nicht nur per se eine solche ist, aber mit dem Geist des Be- sitzers versehen eine ganz persönliche, die oft über viele Jahre vererbt wird und dem Urenkel genau dieselben Dienste erweist wie einst seinem Urgrossvater. In unserer schnelllebigen Zeit gibt es nicht mehr viel, was auf diese noble Art weitergereicht wer- den kann.
Welches war die älteste Uhr, an der Sie gearbeitet haben?
Das war eine von Hand geschmiedete Uhr aus Eisen, hergestellt zwischen 1300 und 1500. Uhrwerke gibt es seit ca. 700 Jahren, und ich bin stolz darauf, dass ich auch die ältesten kranken Uhren heilen kann. Ich er- starre immer wieder in Ehrfurcht, wenn ich sehe, mit welcher Genialität Probleme mit einfachen Mitteln gelöst und Hindernisse aus dem Weg geräumt wurden. Unglaub- lich, dass ich heute ein solches Stück aus- einandernehmen, die Verschleissteile neu anfertigen und alles wieder zusammen- bauen kann – und die Uhr läuft wieder. Na- türlich nicht sekundengenau, aber das ist auch nicht ihre Aufgabe, im Gegensatz zu einem Schiffs-Chronometer.
Warum liefen diese schon damals so genau?
Sie sind kardanisch gelagert und bleiben da- rum auch bei starkem Wellengang in stabiler Lage. Die Werke wurden sehr fein gearbeitet und verfügen über eine Chronometerhem- mung, was sie sehr genau machte. Wichtig ist, dass sie regelmässig aufgezogen werden, damit die Unruh, der Herzschlag des Werks, nicht stillsteht, was eine Navigation mit Hilfe des Sextanten verunmöglichen würde.
Warum gibt es in der Schweiz nur eine Handvoll Uhrmacher mit der Fähigkeit, wirklich jede Uhr zum Laufen zu bringen? Weil sich die meisten auf einen lukrativeren Bereich spezialisieren und weil nebst dem Metier viel handwerkliche Arbeit anfällt. Die Bandbreite ist enorm. Von der Turmuhr über Holzuhren aus dem Entlebuch und elektro- nisch betriebene Bahnhofsuhren bis zum filigranen Werk mit mehreren Komplikati- onen landet alles auf meinem Tisch. Also muss ich drehen und fräsen können, dafür eingerichtet sein und ein sehr umfassendes Ersatzteillager haben. Mit meiner Berufs- wahl habe ich mich für ein anspruchsvol- les Leben entschieden, aber in Wirklichkeit kann ich mir nichts Besseres, Schöneres und Erfüllenderes vorstellen.
www.duusw.ch
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