Page 177 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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  «Die Entwicklung eines Sprungs erfordert sehr viel Kreativität»
Text und Interview: Regula Elsener Steinmann Foto: Swiss-Ski/Fabio Sturm
Mit knapp sieben kam Jan Scherrer zum Schluss: Snowboarden sieht cooler aus als Skifahren. Knapp zehn Jahre später holte sich der Freestyler seinen allerers- ten Podestplatz im Weltcup und wurde zum «Nachwuchssportler 2011» gekürt.
Im gleichen Jahr gewann er an der Junio- ren-WM die Bronzemedaille im Slopestyle. Nach den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 entschloss er sich, den Fokus auf die Halfpipe zu legen. Inzwischen gehört Scherrer zur Weltspitze: In Aspen gewann er 2020 bei den X-Games und 2021 an der WM zwei weitere Bronzemedaillen. Beson- ders stolz ist man auch in seiner Heimatge- meinde Ebnat-Kappel. Die örtlichen Bäcker und Konditoren inspirierte sein Erfolg gar zu einzigartigen Kreationen: Kurz nach der WM gab’s einen Bronze-Biber zu kaufen, Gratulations-Spitzbuben und sogar einen Osterhasen mit dem gleichen Snowboard wie Jan Scherrer.
Haben Sie selbst auch mal ins Jan-Häsli gebissen?
Aber sicher! (Lacht) Das war eine sehr spe- zielle Situation für mich. Ich bestritt nach der WM noch einen weiteren Wettkampf in den USA und bekam daher nur über meine Familie und Freunde mit, dass mein dritter Platz in der Schweiz so stark wahrgenom- men wurde. Das hat mich unglaublich ge- freut – und auch erstaunt.
Weil wir sonst mehr die klassische Ski- Nation sind? Ganz ehrlich: Wurmt Sie das manchmal?
Nein, daran ist ja nichts falsch. Aber natür- lich würden wir uns über etwas mehr Be- achtung freuen. Wenn wir einen super Tag hatten, das alpine Ski-Team hingegen einen miserablen, finden die SkifahrerInnen in der Medienberichterstattung dennoch vor uns statt. Zudem ist die Sponsorensuche viel schwieriger – egal wie gut unsere Resultate sind. Aber eben: Das ist einfach so.
Skifahren ist schlicht einfacher zu verstehen – da geht’s von oben nach unten. Beim Snowboarden mit all seinen Disziplinen wird es kompli- zierter. Stimmen Sie mir da zu?
Ja, das ist sicher mit ein Grund, weshalb Skifahren bei uns viel verbreiteter ist. Ich stand die ersten Jahre auch auf zwei Bret- tern. Doch dann fing meine Schwester mit Snowboarden an und ich fand: Wow, das sieht cooler aus als Skifahren (lacht)! Zu- dem war ich schon vorher ein begeister- ter Skateboarder, da lag der Umstieg aufs Snowboard ohnehin nahe.
Inzwischen sind Sie einer der besten Halfpiper überhaupt. Und erregen Aufsehen mit Ihrem «Switch Alley-Oop Double Rodeo 1080 Indy to Nose». Ein Sprung, den Sie 2020 erstmals gezeigt haben. Wie erklären Sie den einem Laien?
Das ist schwierig. Ich weiss genau, wie er funktioniert, aber ihn beschreiben ... (er be- ginnt, merkt aber schnell, dass die Intervie- werin ihm nur schwer folgen kann) Grund- sätzlich ist ein solcher Sprung ein langer Prozess. Ähnliche gab es ja bereits. Ich
habe dann immer wieder überlegt, wie ich die Abfolge weiterentwickeln könnte. Bis ich es schliesslich wagte – und es geklappt hat.
Würden Sie sagen, Freestyle ist mehr als «nur» Sport – nämlich auch eine Art Performance oder sogar Kunst?
Ja und nein. In erster Linie lernt man einen neuen Trick, um mehr Punkte zu holen. Da steht der sportliche Wettkampf klar im Vordergrund. Bei der Entwicklung eines Sprungs spielt der künstlerische Aspekt aber eine grosse Rolle: Das erfordert sehr viel Kreativität und die Bereitschaft, Gren- zen auszuloten. Gewisse Snowboarder fah- ren klar für Punkte, andere bringen mehr von ihrer Persönlichkeit rein. Ich selbst bin da wohl irgendwo dazwischen.
Sie sagten mal in einem Interview: «Die Faszination beim Snowboarden ist für mich die Freiheit. Es gibt fast keine Regeln, an die man sich halten muss.» Passt das auch sonst zu Ihnen?
Ja, auf jeden Fall. Selbstbestimmung ist sehr wichtig für mich. Neben dem Sport studiere ich ja Wirtschaft an der Fachhoch- schule. Und habe mich bewusst für ein Fernstudium entschieden, weil ich mir da- durch alles sehr frei einteilen kann.
Letzte Frage: Eine Snowboard-Plattform nannte Sie mal «Jackpot-Jan». Wie viel Glück ist bei Ihrem Erfolg dabei? (Überlegt einen Moment) Hm, das ist eine etwas eigenartige Frage.
Finden Sie?
Vielleicht meint der Begriff «Jackpot» eher, dass man bei meinen Sprüngen immer mit Überraschungen rechnen kann, weil ich viele Tricks auf Lager habe. Ansonsten würde ich sagen: Ich mache einfach das Beste aus meinem Können. Aber ob das mit Glück zu tun hat ...?
Vielleicht im Sinne einer guten Risikoeinschätzung?
Die ist sicher entscheidend – und eine Vo- raussetzung für den Erfolg. Wer sich über- schätzt, kommt nicht weiter, weil er früher oder später durch Verletzungen gebremst wird. Man muss seine persönlichen Gren- zen sehr gut kennen.
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