Page 217 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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  «In Gais habe ich dä Füfer und s Weggli»
Text und Interview: Regula Elsener Steinmann
Foto linke Seite: Annette Boutellier/Yoshiko Kusano Foto rechte Seite: Katja Nideröst
Zu Beginn seiner Karriere war das Hack- brett fast grösser als er: Denn schon als Knirps stand Nicolas Senn auf der Bühne und war in seiner Appenzeller-Tracht zum Knuddeln herzig.
Das Auftreten liebt er 20 Jahre später noch immer, wie er im Gespräch mit «Best of St. Gallen» erzählt. In seinen Soloprogram- men spielt er aber nicht «nur» Hackbrett, sondern entpuppt sich als witzig-unterhalt- samer Entertainer.
Wenn ihm Corona nicht gerade einen Strich durch die Rechnung macht, ist er zudem re- gelmässig mit der «Sennemusig» unterwegs. Und: Er geht auch unkonventionelle Wege. So war er u. a. mit Rapper Bligg auf Tournee und steht mit dem Klassik-Trio Fontane oder Boogie-Woogie-Virtuose Elias Bernet auf der Bühne. Rund 25 Mal pro Jahr moderiert er daneben das SRF-Format «Potzmusig». Eine ideale Ergänzung: «Auch hier dreht sich alles um die Volksmusik. Für eine Modesen- dung wäre ich definitiv der Falsche!»
Bei Nicolas Senn liegt es quasi auf der Hand, ein Interview mit dem Thema Hackbrett zu starten. Drum fragen wir was anderes:
Sie mähen angeblich Ihren Rasen in Boxershorts ... wirklich wahr?
(Lacht herzhaft) Ja, das kommt vor. Aber nicht, weil ich unbedingt meinen Körper zeigen will, sondern weil ich solche Sachen gerne schnell erledige. Wenn ich sehe, «s Gräs isch höch», muss es gemäht wer- den. Das kann auch mal in Boxershorts sein. Ich wohne ja sehr abseits, es sieht mich also kaum jemand.
Das bringt mich zur nächsten Frage: Viele junge Menschen zieht es vom Land in die Stadt. Sie jedoch wuchsen
in Romanshorn auf und leben nun seit einigen Jahren in Gais. Wie kam das? Wir waren zu Hause vier Jungs, und je äl- ter wir wurden, desto mehr benötigte jeder seinen Platz und auch mal Ruhe. Letzteres kann ich als Hackbrettspieler nicht immer garantieren. Während meines Wirtschafts-
studiums an der HSG wurde Gais für mich zu einer Art Rückzugsort. Meine Eltern hat- ten dort viele Jahre ein Ferienhaus gemietet. Seit ich 19 bin, ist es mein fixes Zuhause. Aber Sie haben schon recht: Die meisten meiner Mitstudentinnen und Mitstudenten zog es nach dem Studium erstmal in den Grossraum Zürich. Für ländliche Regio- nen ist das eine grosse Herausforderung und entsprechend wichtig, attraktive Jobs anzubieten.
Sie selbst reisen für Ihre Tourneen ja quer durchs Land. Da gäbe es zentraler gele- gene Regionen als das Appenzellerland. Das stimmt, aber ich geniesse diese Umge- bung einfach extrem. Zudem lebe ich hier ja nicht alleine, sondern gemeinsam mit mei- ner Freundin. In Gais habe ich «dä Füfer und s Weggli»: In 20 Minuten bin ich mitten in der Stadt St. Gallen, finde hier aber doch viel Ruhe und habe erst noch sehr nette Nach- barn. Sie sind teilweise einen Kilometer weit weg, trotzdem haben wir einen schönen Kontakt. Ich stehe sogar immer ein wenig unter wohlwollender Beobachtung (lacht).
Sie sind untrennbar mit Ihrem Hack- brett verbunden. Gab es tatsächlich nie Phasen in Ihrem Leben, in denen Sie genug davon hatten – oder zweifelten, weil andere es vielleicht uncool fanden? Nein, nie! Es waren zu meinem grossen Glück aber auch stets Menschen um mich herum, die das unterstützten. Selbst in der Kanti in Romanshorn. In meiner Klasse interessierte sich zwar kaum jemand für Volksmusik, aber ich wurde nie gemobbt.
Im Gegenteil: Ich kann mich erinnern, dass ich mitten in einem zweiwöchigen Paris- Klassenlager nach Wien zum «Musikanten- stadl» fliegen durfte und dort tatsächlich den Jahreswettbewerb gewann. Da freute sich die ganze Klasse mit mir und schickte mir haufenweise Glückwunsch-SMS aus Paris. Von mir selbst kenne ich einen Hack- brett-Überdruss also überhaupt nicht, aber heute unterrichte ich ja selbst Kinder und Jugendliche ...
... und sehen dabei was?
Dass gerade Jugendliche in gewissen Pha- sen «e chli gnueg händ» von den traditio- nell-urchigen Stücken. Daher zeige ihnen bewusst auf, dass man mit dem Hackbrett auch coole, moderne Songs spielen kann. Wenn Sie einen Chart-Hit üben können, ist die Motivation meist auf einen Schlag wie- der da!
Zum Schluss: Aus dem kleinen Buben
in der Appenzeller Tracht ist ein sympa- thischer, erfolgreicher und bodenstän- diger Mann geworden. Sie müssen echt der Traum aller Schwiegermütter sein! Das höre ich ab und zu mal (lacht). Nun, ich bin ja in einer Beziehung, daher ist es kein Thema – aber grundsätzlich möchte ich schon lieber den Töchtern gefallen. Denn es ist schon vorgekommen, dass eine nette, junge Frau nach einem Konzert an den CD- Stand kam, um ein Autogramm bat und dann meinte: Da wird sich mein Grosi aber freuen!
www.nicolassenn.ch
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