Page 29 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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 «Urs, hörʼ auf zu denken!»
Text und Interview: Regula Elsener Steinmann Foto links: Jette-Marie Schnell, Kreuzlingen Foto rechts, TV-Epos «Frieden»: SRF
«Ich bin en Thurgauer, kein St. Galler. Mach mi nöd hässig!», stichle er gerne, verrät Schauspieler Urs Bosshardt. Aber natürlich nur spasseshalber.
Denn er wurde nicht nur in der Gallusstadt geboren, auch sonst verbindet ihn viel mit der Region: Aufgewachsen in Bischofszell, empfand er St. Gallen in der Pubertät ge- radezu als Metropole. Später spielte er am Stadttheater. Und seine erste Wohnung war auf einem Bauernhof in Mörschwil: Eine WG – oder, wie er es schmunzelnd formuliert, eine «Art Kommune». Seit vielen Jahren lebt er nun in Basel. Dort gehört Urs Boss- hardt zum Ensemble des bekannten Fau- teuil Theaters von Caroline Rasser. Mit ihr spielte er schon in seinem ersten grossen TV-Erfolg: der SRF-Sitcom «Fertig Lustig» (2000-2002). Sein Fokus liegt auf der Bühne, doch immer wieder sieht man ihn auch am Bildschirm oder auf der Leinwand: Etwa im Kinohit «Die göttliche Ordnung» oder den monumentalen SRF-Produktionen «Gott- hard» und «Frieden». Aber nochmals zurück zu den Ostschweizer Wurzeln:
Ich hab’ Sie ertappt! Sie posten in den so- zialen Medien öfters Bilder vom Boden- see. Ist da etwas Heimweh zu spüren? (Lacht) Ich bin in Basel inzwischen stark ver- wurzelt, aber wenn ich vom Seerücken bis nach Singen und Hohentwiel schaue, denke ich jeweils: Da sparst du dir die Nordsee – die Aussicht ist atemberaubend! Auch beruflich habe ich unvergessliche Erinnerungen.
Erzählen Sie bitte!
Wir spielten in Kreuzlingen auf Schloss Girs- berg ein Stück von Johann Nestroy und ich darin den «rich uncle aus America» (spricht mit Akzent). Regisseur Leopold Huber fand, dass ein Pferd gut passen würde. Ein nahe gelegener Bauer lieh uns tatsächlich ein al- tes Kutschenross. Bei den Proben klappte es wunderbar. Aber als zum ersten Mal Pu- blikum da war und Scheinwerfer leuchteten, konnte ich das Tier kaum bändigen. Tja, und das war dann in jeder Vorstellung so. Ich hab’ Blut geschwitzt und immer gehofft, dass niemand klatscht! (lacht)
In «Frieden» spielte Urs Bosshardt den Textilfabrikanten Alfred Tobler – hier an der Hochzeit seiner Toch- ter Klara (Annina Walt).
 Schauen wir noch etwas weiter zurück: Sie besuchten ja die Scuola Teatro Dimitri, von der Sie mal sagten: Ohne sie wäre ich ein anderer Schauspieler ge- worden. Inwiefern?
Diese Ausbildung war sehr breit, umfasste Pantomime, Akrobatik, Tanz etc. Dafür bin ich dankbar. Denn obschon klar war, dass ich beispielsweise niemals Akrobat werde, war es extrem wertvoll, sich überhaupt da- mit zu befassen. Das gab mir jene Basis, die ich brauchte. Sonst wäre ich womög- lich eine «gstabige» Worthülse geworden. Auch das Loslassen war ein Thema. Mein ungarischer Lehrer sagte im Salto-Training stets zu mir: «Urs, hör’ auf zu denken!» Beim Theater ist es ähnlich. Wenn du zwei Sekun- den, bevor du auf die Bühne gehst, zu viel analysierst, verhaust du den Auftritt.
Was auffällt: Sie spielen oft Charakter- rollen in Komödien, aber genauso ernste Figuren, wie etwa den Firmenpatron Tobler im hochgelobten Nachkriegs-Epos «Frieden». Wie haben Sie es geschafft, nie in eine Schublade gesteckt zu werden? (Überlegt einen Moment) Ich weiss es nicht. Vielleicht, weil ich selbst nie dieses «Schubladen-Denken» hatte? Als ich mit 28 Schauspieler wurde, war die Zeit für Romeo und andere jugendliche Liebhaber bereits vorbei. Dafür merkte ich: Das komische Fach liegt mir, denn Lachen ist Anarchie... Ich gründete mit dem Teatro Cabolo eine eigene Truppe. Wir spielten 3-4 Stücke pa- rallel, daher war die Auswahl meiner Rollen
von Anfang an sehr breit gefächert. Und geschah nach Bauchgefühl – das habe ich beibehalten.
2023 werden Sie 70, sind eigentlich im Pensionsalter: Man hat aber – wenn Corona nicht gerade für unliebsame Pau- sen sorgt – nicht den Eindruck, dass Sie kürzertreten ...
Es ist halt so: Genau jetzt bin ich in einem hervorragenden Schauspiel-Alter. Denken Sie nur an den Patron in «Frieden». So eine Rolle ist ein Geschenk! Ich spüre, da warten noch einige Koteletts auf mich (lacht). Na- türlich habe ich meine Altersgebresten. Die wurden durch Corona nicht weniger. Wer rastet, der rostet. Normalerweise spiele ich 120 - 150 Vorstellungen pro Jahr, da kommt das Adrenalin von selbst.
Besonders bei Ihrer Eigenproduktion «herzen», nehme ich an? Da gestalten Sie mit Ihrer Partnerin Myriam Wittlin einen Abend voller Gedichte, Lieder und Geschichten.
Ja, neuerdings singe ich sogar Leonard Cohen! Das hätte ich nie gedacht, aber Myriam hat mich überzeugt (lacht). Wir treten vor kleinem Publikum auf – in Bars und Restaurants, planen auch Auftritte in Schrebergärten und Bibliotheken. In diesem Rahmen können wir gezielt auf die Stim- mung eingehen. Ich habe mich selten so frei gefühlt auf der Bühne. Herrlich!
www.ursbosshardt.ch
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