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  Olli Hauensteins «Clown-Syndrom»
Text und Interview: Maximilian Marti Foto rechts: Joachim Trautner
Foto links: Vera Markus
Unter diesem Titel haben zwei eng ver- wandte und doch weit voneinander ge- trennte Seelen zusammengefunden und mit einem Experiment begonnen, das zur Erfolgsstory wurde. Initiant war der gelernte Thurgauer Komiker, Clown und Regisseur Olli Hauenstein. Er ist einer der wenigen, die es verstanden, den un- vergleichlichen Charme der frühen Com- media dell’arte in die Moderne zu retten. Nach über 30 Jahren Bühnen- und Zir- kusarbeit und Solo-Welt-Tourneen lan- cierte er Workshops in der Schweiz, un- ter anderem zur Theaterpädagogik in der Bildungsstätte Sommeri. Dort entdeckte er Eric Gadient. Eric hat das Down-Syn- drom und das Talent, Menschen zum Lachen zu bringen. Mit ihren Auftritten bereichern die beiden die Szene auf eine noch nie dagewesen Art. Hier ist ihre Geschichte:
Olli, sicher hat es im Sommeri eine be- geisterte Gruppe an Spielfreudigen und Willigen gegeben, die gerne mitgemacht hätten. Warum gerade Eric?
Im Workshop habe ich viele Improvisatio- nen vorgeschlagen. Alle waren immer sehr zurückhaltend, nur Eric sprang immer hoch und rief «i mache mit!» Diese Spielfreude war der Zündfunke. Eric kann viel und hat Talente. Natürlich mussten diese angespro- chen, hervorgeholt, ihm bewusst gemacht und gefördert werden. Mit seiner Spiel- freude ist er ein Komiker-Naturtalent, das selber gerne lacht, auch über sich selber lachen kann und instinktiv weiss, was wann wirkt. Eric ist ein liebenswerter, lernfreudiger Kerl und ein zuverlässiger Partner, der alles gibt für die gemeinsame Sache. Mit seinem kindlichen Geist in einem Erwachsenkörper verfügt er genau über diese arglose Naivi- tät, die stimmt für unsere Art, Theater zu machen. Nach fünf Jahren gemeinsamem Anlauf agiert er heute weitgehend autonom, soweit er seinen Part intus hat. Natürlich bin ich für ihn Coach, Regisseur, Partner und Betreuer in Personalunion, aber das wird unsichtbar auf der Bühne. Allerdings leis- tet sich «Herr Oberschiedlich» ab und zu unerwartete, spontane Gags, was mich,
Olli Hauenstein in Piano & Forte im Theater Konstanz
im Stück «Herr Unterschiedlich» genannt, zu schneller, ebenso spontaner Reaktion zwingt. Das hält mich auf Trab und begeis- tert das Publikum, weil nie ersichtlich ist, ob die Szene so geplant war oder ob soeben eine kurze Panne cool überspielt wurde.
Wie ist das Zusammenleben auf Tournee?
Da ist immer meine Frau Ulrike dabei, sie war Kinder-Krankenschwester und hat lange in der Bildungsstätte Sommeri gearbeitet, sie und Eric kennen sich gut. Im Alltag hat Eric ein grosses Handicap und braucht in frem- der Umgebung Führung, bis er sich zurecht- findet und dies bezeugt. Beim Hotelbezug weiss er schon mal souverän zu sagen: «Ich gehe jetzt auf mein Zimmer, ihr seht mich später an der Bar.» Wir spielten schon öf- ter im Stadttheater Konstanz. Vor einem Abend-Auftritt geht man um ca. 15 Uhr auf die Bühne zum Einrichten – Beleuchtung, Haustechnik etc. Das interessiert Eric nicht im Geringsten. Einmal mit der Stadt vertraut, macht er einen Bummel, um glücklich und zufrieden zur abgemachten Zeit wieder auf- zutauchen, nicht selten mit etwas Gebäck oder sonst einer kleinen Überraschung.
Clown-Syndrom ist jetzt erfolgreich und wann immer möglich auf Tournee. Wie sieht die Zukunft aus?
Vor Corona haben wir enorm viel gearbei- tet, über 150 Auftritte zwischen 2016 und 2020. Zurzeit ist alles ungewiss, ich hoffe, im Herbst auch wieder auftreten zu können mit meinem Solo «Piano und Forte», mit dem ich um die Welt getourt bin.
«Ich hätte am Kronleuchter hängen bleiben müssen» ist der Titel des Films, den Ihr Sohn, Diego Hauenstein, über Ihre Arbeit gedreht hat. Ist das ein Dokumentarfilm?
Jain. Diego ist es gelungen, einerseits, nach sehr sorgfältigen Recherchen in meinen Ar- chiven, gekonnter Kameraarbeit in vielen richtigen Momenten und Interviews mit uns, nicht nur den Hintergrund meiner Arbeit auf- zuzeigen, sondern auch das künstlerische Ergebnis, inklusive der Prozesse, die im familiären Umfeld damit einhergehen. An- dererseits ist es die empathische Beleuch- tung eines Elternpaares aus der Sicht des Sohnes, was sich eher dem Charakter eines Spielfilms nähert. Es hat uns Eltern sehr be- rührt, wie differenziert und wahrheitsgetreu wir portraitiert wurden. Das Werk wurde bereits am lnternationalen Hofer Filmfesti- val und an den Solothurner Filmtagen 2021 gezeigt und ist am 27. August im Sommer- kino Roxy zu sehen.
Olli, Clowns sind in ihrer Art sehr unter- schiedlich. Gibt es etwas, das Ihr alle gemeinsam habt?
Alle Kollegen, die ich kenne, lieben Sahne- torten, weil man diese den Ahnungslosen so schön ins Gesicht pfeffern kann. Aber das gehört nicht in unser Repertoire, dazu lieben wir Schwarzwälder Torte zu sehr.
www.clown.ch www.diegohauenstein.com
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