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 Valentin Greutert: von Bruno Manser und der Neufassung von Heidi
Text und Interview: Bianca Ritter Fotos: Sabine Liewald
Valentin Greutert setzt auf eigenständige Filme, auf Projekte mit künstlerischem Anspruch. «Mad Heidi», die neuste Pro- duktion, hat schon vor der Erscheinung Ende 2021 für viele rote Köpfe gesorgt. Wir haben uns mit dem Filmproduzenten unterhalten.
Lieber Valentin, zuerst eine scheinbar simple Frage, auf die sicher viele Leser- innen und Leser auch nicht gerade eine glasklare Antwort hätten. Was ganz genau macht ein Filmproduzent?
Im Prinzip ist der Filmproduzent derjenige, der die unternehmerische Verantwortung einer Filmproduktion trägt. Wie weit diese auch künstlerische Belange umfasst oder nur buchhalterische, hängt von der persön- lichen Interpretation ab. Für mich ist die kreative Seite mindestens so wichtig wie die organisatorische.
Kommen wir auf «Mad Heidi» zu spre- chen und legen die Vermutung nah, dass sich Johanna Spyri möglicher- weise im Grab umdrehen würde. Was war das Ziel dieses Films? Und habt ihr mit Alice Lucy bewusst keine Schweize- rin gewählt für die Hauptrolle?
Na, ich hoffe doch, dass Johanna Spyri eher lächeln würde, Heidi ist jetzt erwachsen und rettet die Welt! Der Film wird ein ganz grosser Spass. Unsere Welt braucht etwas mehr Leichtigkeit, mehr nicht ganz so ernst Gemeintes. Die Filmsprache ist Englisch – allerdings mit ein paar schweizerdeutschen Einsprengseln –, weil wir ein internationales Publikum ansprechen. An Alice Lucy hätte Johanna Spyri bestimmt ihre Freude, sie ist ein perfektes Heidi.
Sexploitation- oder Blaxploitation- Trash-Filme, die legendäre Ilsa-Trilogie, Pam Grier, Russ Meyer oder auch Quentin Tarantino kommen mir bei «Mad Heidi» u. a. in den Sinn.
Das ist wohl kein Zufall, oder? «Swissploitation» ist das Stichwort. Erklär doch mal.
Das Exploitation-Genre entstand in den 60ern und 70ern in den USA und bezeich-
net Filme, die zumeist sehr billig produziert waren und sich hemmungslos an Kli- schees und Stories anderer Filme bedien- ten. Bei «Mad Heidi» machen wir das mit der Schweiz und kreieren somit quasi den ersten «Swissploitation»-Film. Unser Land mit seinen vielen Klischees bietet sich da geradezu an. Billig gemacht ist der Film al- lerdings nicht, und ohne sie zu lieben, kann man Klischees auch nicht richtig veräppeln.
Ganz anderes Thema, «Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes». Den Film hast Du zusammen mit Philip Delaquis produziert. Wie denkst Du rückblickend über dieses Mammut- Projekt, über dieses international für Aufsehen sorgende Biopic?
Diese Produktion war schon eine ganz grosse Sache, auf jeder Ebene. Mit den Penan arbeiten zu dürfen, im Dschungel zu drehen, all die Menschen und Herausfor- derungen, die Leidenschaft, die dabei war, die Reaktionen auf den Film... Das bleibt unvergesslich. Der Film war 13 Jahre in Arbeit, aber ich würde es sofort wieder tun.
Welche Deiner Produktionen liegt Dir besonders am Herzen? Und weshalb? Am meisten liegen mir immer die Filme am Herzen, die ich gerade mache. «Bruno Man- ser» war ein fantastisches Abenteuer, und so war es auch mit «Mad Heidi»! Das ist ja das Tolle an meinem Beruf, ich mache die Filme, die mir gefallen. Aber das geht nur mit sehr viel Leidenschaft und Konzentration auf das, was gerade vor einem liegt. Viele Schauspieler schauen die Filme gar nie, in denen sie spielen. Das mache ich natürlich schon, aber bis ein Film erscheint, habe ich ihn sicher schon 20 Mal gesehen. Und wenn er fertig ist, dann schaue ich schon auf den nächsten.
Wagen wir mal noch den Sprung zu Valentin Greutert privat. Was treibt Dich um? Was ist, vom Film abgesehen, die grösste Leidenschaft?
Ich habe eine grosse Leidenschaft für klas- sische Klaviermusik. Es ist einfach gar nicht zu fassen, was für ein riesiges Reich diese Musik zu bieten hat. Literatur mag ich auch sehr. Ein Freund meinte einmal treffend, es sei doch ein schöner Gedanke, dass es so
viele Bücher gibt, dass wir alle bis an unser Lebensende nur noch gute Bücher lesen könnten. Mit Filmen geht das nicht!
Und nochmals Thema Film – weil es einfach grad so spannend ist: Welche Werke der Filmgeschichte erachtest Du für Dich als die grössten? Welche Schauspieler oder Regisseure faszinie- ren Dich? Und auch da: weshalb?
Das finde ich eine schwierige Frage, denn es gibt unzählige tolle Filmwerke, Schau- spieler und Regisseure aller Genres und Geschlechter. 2021 fand ich den deut- schen Film «Fabian» mit Tom Schilling in der Hauptrolle ganz hervorragend. «Come and See» ist ein äusserst ein- drücklicher Streifen aus Russland 1985 und Roman Polanski vielleicht der grösste lebende Regisseur. Zu Tränen gerührt war ich neulich, als ich «Wild At Heart» von David Lynch wieder sah.
Im Moment steht die Welt nach wie vor Kopf. Und es beschleicht einen das etwas beklemmende Gefühl, dass es nie mehr so sein wird, wie es mal war. Science-Fiction war gestern? Deine Gedanken dazu?
Nein, ich glaube, die Welt stand schon des Öfteren an so einem Punkt, es ist ja nicht die erste Pandemie. Nur liegt das halt schon weit zurück, und wir haben die Übung darin verloren. Interessant ist ja, dass es wirklich die ganze Welt betrifft, wirklich jedes hinter- letzte Land der Erde. Und alle machen das Gleiche, da herrscht ein massiver Konsens. Dass da ein Science Fiction-Bösewicht da- hinter stecken soll, scheint mir etwas gar fantasiereich und höchstens was für einen schrägen «Virusploitation»-Film. Insofern: Aussitzen und dann hoffentlich etwas wei- ser und besonnener weiter!
Valentin Greutert, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch!
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