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  «Ich bin ein grosser Freund von unordentlichen Orten»
Text und Interview: Janine Tschopp Fotos: Geri Born
Im Interview spricht Ursus Wehrli unter anderem über sein neuestes Buch und warum «Ursus & Nadeschkin» auch nach fast dreieinhalb Jahrzehnten noch zu- sammen auf der Bühne stehen.
«Welt aufräumen» heisst Ihr aktuellstes Werk, das unlängst erschienen ist. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was man momentan auf der Welt aufräumen sollte? Neben dem Schreibtisch und der Küchen- schublade? Da gibt es sicher einiges: Es gäbe ein paar Konflikte, die es aufzuräu- men gäbe, ein paar Umweltprobleme, die zu klären wären, oder man könnte die vielen farbigen Schiffscontainer, die auf den Welt- meeren herumfahren, nach Farben sortie- ren. Oder man könnte vielleicht auch mal mit Vorurteilen aufräumen.
Warum?
Weil wir oft vorschnell Schlüsse ziehen und Meinungen zementieren, ohne uns bewusst zu machen, dass das Gegenüber vielleicht in einer ganz eigenen Welt lebt.
Wie könnte man das angehen?
Vielleicht, indem wir mit unseren Unvollkom- menheiten etwas entspannter umgehen und anerkennen, dass wir alle versuchen, das Beste aus unserer Situation zu machen, und uns so gut es geht durch den Dschungel an Möglichkeiten, Anforderungen und Ent- scheidungen pflügen.
Welches sind die Orte, die bei Ihnen, obschon Sie Aufräumspezialist sind, un- ordentlich sind?
Es gibt immer wieder Phasen, in denen mein Arbeitsplatz unübersichtlich und unordent- lich ist. Entgegen der Erwartung, dass es bei mir immer fein säuberlich aufgeräumt ist, bin ich ein grosser Freund von unordentlichen Orten, weil sie oft authentisch sind, viel Per- sönliches preisgeben und mich inspirieren. Wichtig ist einzig, dass man auch im Chaos die Übersicht behält!
Wer ist in Wirklichkeit ordentlicher, Sie oder Nadeschkin?
Da gleichen wir uns ziemlich gut aus! Wenn ich mal zu chaotisch bin, bringt Nadja die Ordnung rein und umgekehrt. Das passiert aber eigentlich ganz unbewusst und eher intuitiv, weil wir wissen, dass es für eine kre- ative Zusammenarbeit eben beides braucht: die Ordnung und das Chaos!
Warum sind Sie als Ordnungsfanatiker nicht Typograf geblieben, sondern Komi- ker geworden?
Das ist eher zufällig geschehen – wahr- scheinlich habe ich meinen beruflichen Wer- degang einfach zu wenig ordentlich geplant. Ich habe als Typograf viel gelernt und erfah- ren, was ich heute noch gut brauchen kann, habe mich mit Gestaltung, dem Goldenen Schnitt und Schriften auseinandergesetzt. Mich hat es aber bald zu selbstständigem, kreativem Arbeiten hingezogen, und ich wollte etwas Eigenes tun. Dass dies nun auf der Bühne geschieht, habe ich so nicht vorgesehen. Ich dachte eigentlich, dass dies eine Übergangslösung sein würde – die nun schon über drei Jahrzehnte andauert!
Woran liegt es, dass Sie und Nadeschkin es schon fast 35 Jahre als Komikerduo «aushalten»?
Ich glaube, das liegt daran, dass wir in der langen Zeit unserer Zusammenarbeit nie davon ausgegangen sind, dass es immer weitergehen soll. Die mögliche Trennung unseres Bühnenduos war und ist immer eine Option. Gleichzeitig sind wir aber wohl beide recht ausdauernd und finden immer dann, wenn es Gründe gäbe, sich zu tren- nen: Aufhören wäre einfach – es muss doch noch eine neue Lösung geben!
Was hat sich in den letzten drei Jahrzehn- ten, in Bezug auf Eure Tätigkeit als «Ursus und Nadeschkin», verändert?
Die Kulturbranche ist sehr viel grösser und breiter, die Szene vielfältiger und verästel- ter geworden, und es gibt sehr viel mehr Nischenprodukte, die ihr eigenes Publi- kum haben. Das ist wunderbar. Die digita- len Medien haben ein völlig neues Element
Sie ergänzen sich gut: Ursus Wehrli und Nadja Sieger sind seit fast 35 Jahren als Komikerduo «Ursus & Nadeschkin» unterwegs.
gebracht, das viele neue künstlerische Audrucksweisen möglich macht, aber auch eine Kurzlebigkeit fördert oder eine Unvor- hersehbarkeit, die plötzlich von einem Tag auf den anderen neue Künstlerinnen oder Künstler an die Öffentlichkeit spülen kann. Für uns selber hat sich mit dem Bekann- terwerden natürlich die Erwartungshaltung verändert, und wir müssen immer wieder damit umgehen können, dass das Publikum zwar immer was Neues sehen möchte, das Neue aber am liebsten so hätte wie das Alte. Wir versuchen immer von uns selber auszu- gehen und mit neuen Programmen uns sel- ber zu überraschen, und wir probieren, die Schubladen, in die man gerne gesteckt wird, so gross wie möglich zu halten.
Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Über die Zukunft mache ich mir wenig Ge- danken, weil sie meist sowieso ganz anders herauskommt, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich lasse mich von der Zukunft gerne überraschen und freue mich, dass die Ver- gangenheit so bleibt, wie sie ist.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf alles.
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