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«Wenn ich etwas will, dann schaffe ich es auch»
Zwei Frauen absolvieren derzeit die Schreinerlehre in der Enga- diner Lehrwerkstatt in Same- dan. Wie sie ihren Beruf in einem von Männern dominier- ten Umfeld erleben, erzählen Sabrina Herrli und Jia Zhu im Interview.
Die Engadiner Lehrwerkstatt in Same- dan bildet seit 1966 junge Menschen zu Schreinern aus – und zu Schreinerinnen. Die gehaltvolle Lehre bietet ihnen die Mög- lichkeit, während vier Jahren alle Arten von Schreinerarbeiten im gehobenen Segment auszuführen und dabei einen breiten Er- fahrungsschatz zu sammeln. Zwei der ak- tuell 22 Auszubildenden sind Frauen: Die 19-jährige Sabrina Herrli im zweiten und die 35-jährige Jia Zhu im dritten Lehrjahr. Sie wissen sich unter Männern zu behaupten.
Sabrina, Jia, wieso habt ihr euch für eine Schreinerlehre entschieden?
Sabrina: Ich wollte etwas Handwerkliches lernen und finde es toll, die Lehre mit an- deren Gleichaltrigen zu absolvieren. Mir gefällt das kreative Arbeiten mit Holz, und dass ich selbst Ideen einbringen kann. Wenn man vor einem grossen Bücherregal steht, das man von A bis Z allein geschaf- fen hat – dann ist man schon beeindruckt, was man selbst geleistet hat.
Jia: Ich war in China Primarschullehrerin. Als ich in die Schweiz zog, war mir klar: Wenn ich hier arbeiten möchte, brauche ich eine Schweizer Ausbildung. Ausserdem wollte ich mit den Händen arbeiten. Die Lehre ist für mich eine grosse Herausforderung: Es war und ist für mich körperlich und sprach- lich schwierig; die Fachbegriffe sind nicht einfach zu verstehen. Aber ich habe mich dafür entschieden und ziehe das durch.
Wie geht es euch als Frauen unter so vie- len Männern?
Sabrina: Die Ausbildner machten von An- fang an klar, dass hier alle gleichberechtigt sind und gleich behandelt werden. Klar gibt es Dinge, die wir wegen der geringeren
Kraft weniger gut können als die Männer, aber es gibt für alles Hilfsmittel. Auf der Baustelle ist es auch schon vorgekommen, dass man uns nicht für voll nahm. Solche Vorurteile sind schade. Andererseits gibt es auch Leute, die richtig Freude haben und es gut finden, wenn sie Frauen auf der Bau- stelle antreffen.
Jia: Ich erlebe auch, dass wir als Frauen nicht ernstgenommen werden, sei es auf der Baustelle oder hier bei den Jungs. Al- lerdings lasse ich mich nicht auf Diskussi- onen ein. Mir ist es wichtiger, ein lebender Beweis zu sein, dass ich als Frau diesen Job machen kann. Vor der Lehre hatte ich noch nie einen Akkubohrer in der Hand. Heute weiss ich: Wenn ich etwas will, dann schaffe ich es auch.
Etwas vom Wichtigsten, was ihr bisher gelernt habt?
Jia: Dieser Beruf hat mir die Augen ge- öffnet, ich habe viel Menschenkenntnis
gesammelt. Frauen und Männer profitieren in der Zusammenarbeit voneinander. Was schlussendlich zählt, ist der gegenseitige Respekt.
Sabrina: Beim Arbeiten macht es keinen grossen Unterschied, ob man Mann oder Frau ist. Dieser Beruf macht Spass, auch wenn man eine von wenigen Frauen ist.
     Stiftung Engadiner Lehrwerkstatt für Schreiner
Promulins 14, 7503 Samedan
Telefon +41 81 851 09 90
E-Mail schreiner@lehrwerkstatt.ch
 www.lehrwerkstatt.ch
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