Page 11 - Best ofSt. Gallen, Ausgabe 9
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 Auf der Suche nach Gangstern
Text und Interview: Thomas Lüthi
Foto links: Mirko Ries, Foto rechts: Rikke Skaaning
Kein Zweifel: Er ist der bekannteste Anwalt der Schweiz, bringt es auf rund 5000 Nen- nungen in der Schweizer Mediendatenbank. Er ist Autor mehrerer Bücher – die sind notabene nicht in unverständlichem Juris- tendeutsch abgefasst, sondern zugänglich formuliert. Er fungiert als Unidozent. Er schwimmt meistens einen Kilometer pro Tag («ich bin aber nicht Sport-, sondern Genuss- schwimmer»). Ach ja: Er sitzt für die SVP im Zürcher Kantonsrat, wird aber auch von den KollegInnen auf der anderen politischen Seite geschätzt – weil er über den Teller- rand hinausdenkt. Er entlockt sogar bein- harten Linken zuweilen ein Lächeln für seine freundlich formulierten und ruhig vorgetra- genen Provokationen. Er steht mit Lust in der Öffentlichkeit. Das war aber nicht immer so. In seiner Kindheit und Jugend blieb er gerne zu Hause, las viel: Valentin Landmann war ein Nerd, schon bevor dieses Wort über- haupt existierte. Die Freude an der Debatte wurde ihm in die Wiege gelegt. Die Mutter, eine Schriftstellerin, und der Vater, ein Philo- sophieprofessor, hatten häufig Gäste – auch aus Deutschland.
Haben Sie diese Gäste interessiert?
Und wie. Ich spielte unter dem Stubentisch mit meinen Autöli und spitzte meine Ohren. Der Krieg war nur seit wenigen Jahren vor- bei, und er beschäftigte meine Eltern – die beide jüdischer Herkunft waren – und ihre Gäste immer noch sehr. Für meinen Vater und meine Mutter war das geschriebene und gesprochene Wort extrem wichtig. Meine Mutter sass bis wenige Tage vor ihrem Tod an der Schreibmaschine. Die habe ich übri- gens immer noch – mit Tippexspuren.
Ihre Eltern hätten es sicher gern gehabt, wenn Sie in ihre Fussstapfen getreten wären ...
Ja, aber ich wollte nicht. Ich wollte nicht Phi- losophie studieren. Denn schon als Kind fas- zinierten mich Strafverteidiger. Sobald ich lesen konnte, verschlang ich Perry Mason- Romane. Sich für Jus zu entscheiden, war dann der logische Schritt. Ich wollte etwas Greifbares studieren.
Und nach dem Studium wurden Sie Strafverteidiger?
Erst nach einem Umweg. Ich absolvierte das Studium und Doktorat in Rekordzeit. Damals hätte ich mir auch eine Unikarriere vorstellen können. Ich arbeitete am Max Planck-Insti- tut in Hamburg an meiner Habilitation – auch wegen der grossartigen Bibliothek. Es gab eine Frage, die mich sehr beschäftigte: Wie setzen Menschen oder Menschengruppen Normen durch, die nicht an einen Richter gelangen können oder wollen? Zum Beispiel Kriminelle.
Wo fanden Sie die Antwort?
Ein Kollege empfahl mir: «Geh doch zu den Hell’s Angels, die können dir sicher wei- terhelfen.» Was ich auch tat. Auf der Ree- perbahn klopfte ich beim Klublokal. So ein Rübezahl-Kerl öffnete. Ihn fragte ich: «Sind Sie Gangster?» Und statt mir eins auf die Nase zu geben, bat er mich hinein. Bei einem Bier erzählte er mir, wie’s bei den Hell’s An- gels funktioniert. Wir redeten auch über das Thema Freiheit: Wie kann man die in einem Staat wie Deutschland leben? Da stiess ich auf mehr fundiertes Gedankengut als in den linken Studentenkreisen von damals.
Und waren die Hell’s Angels die von Ihnen gesuchten Gangster?
Nein, eben nicht. Die Hell’s Angels sind keine Kriminelle – abgesehen von ein paar
schwarzen Schafen. Doch die gibt’s über- all. Hell’s Angels sehen zwar nicht aus wie brave Bürger, leben etwas neben der nor- malen Gesellschaft. Doch sie verhielten und verhalten sich trotzdem gesetzeskon- form. Leider sahen das Polizei und Justiz in Deutschland überhaupt nicht so. Die stell- ten die Hell’s Angels an den Pranger – mit Razzien und Verhaftungen. Die Justiz hatte dann das Gefühl: «Jetzt haben wir das orga- nisierte Verbrechen besiegt!»
Ihre Reaktion, Herr Landmann?
Ich war empört. Ich beschloss, umzusatteln und Strafverteidiger zu werden. Um Nä- gel mit Köpfen zu machen, vernichtete ich meine Habilitation – ein radikaler Akt. Da- mals existierten ja noch keine Files, meine Arbeit gab’s nur in Papierform. Ich steckte die 500 Seiten in den Schredder. Aus Pro- test. Aber auch, um mir den Rückweg zu verbauen – damit ich nicht zurückkrebsen konnte. Wie sich herausstelle, war es der richtige Entscheid.
Sie kehrten in die Schweiz zurück?
In die Schweiz, auch nach St. Gallen. Mich verbindet bis heute viel mit meiner Heimat- stadt – auch mit meinem Elternhaus. Es ge- hört mir nach wie vor. Ab und zu verbringe ich ein Wochenende mit meiner Partnerin dort. Und esse dann eine Kalbsbratwurst. Selbstverständlich ohne Senf!
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