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 Ha träumt ...
Text und Interview: Maximilian Marti Foto links: Herbert Zimmermann Foto rechts: Marius Gschwend
...ist der Titel einer CD von Arlette Wismer, aber auch Synonym für die stei- le Karriere der jungen Luzernerin. 1999 in Rickenbach geboren, ist Arlette die jüngste von fünf jodelnden Schwestern, gefördert von ihrer jodelnden Mutter Priska Wismer und von ihrer Grosstante, der prominenten Jodelkoryphäe Marie- Theres von Gunten. Wen wundert’s, dass diese Marinade eine Jodlerin her- vorbrachte, die heute als Spitzentalent der Volksmusik gilt? Als Vierjährige trat sie dem Chinder-Jodlerchörli Geuensee bei. Mit sechs Jahren nahm sie Violin- unterricht, später kam das Klavier dazu. 2013 holte sie sich beim Folklorenach- wuchs-Wettbewerb den Gesamtsieg in der Sparte Jodeln. Die Matura schloss sie ab mit einer Arbeit über das exoti- sche Thema Jodeln, gefolgt vom Stu- dium der Gesellschafts- und Kommu- nikationswissenschaften. Aktuell tritt sie in verschiedenen Formationen auf. Stets mit dabei ist Doris Erdin, welche Arlette mit dem Akkordeon begleitet. Weiter ist die junge Jodlerin auch mit dem Familienchor Wismer, mit dem Jodlerchörli Geuensee oder mit ihrem Ensemble (Gesang, Violine, Akkordeon und Kontrabass) zu hören. Für die Platt- form «SRF Volksmusik» moderiert sie das Format «Wismer gfallt».
Arlette, kennst Du Lampenfieber?
Ja, das kommt vor, je nach Grösse des Publikums. Paradoxerweise bin ich am An- fang eines Auftritts vor kleinem Publikum nervöser als vor grossem. Je grösser das Auditorium, desto beruhigender ist die dis- tanzbedingte ‹Anonymität›, vor einer kleinen Gesellschaft fühle ich mich exponierter. Das kommt wohl daher, dass ich für Small- talk nicht besonders begabt bin, aber nach dem ersten Ton bin ich in meinem Element und das Lampenfieber ist vom Tisch. Am liebsten trete ich vor ungefähr siebenhun- dert Leuten auf und freue mich riesig, wenn man mir wirklich zuhört.
Hast Du Vorbilder?
Ja, unsere Mutter und natürlich meine Grosstante, mit der offenbar das Jodeln in unserer Familie zum zentralen Thema wurde. Meine Mutter hatte auch in ihrer Familie schon gejodelt, richtig gelernt hat sie es bei Marie-Therese, die ihr zum 16. Geburtstag Gesangsunterricht schenkte. Ich lernte es dann von meiner Mutter und meinen vier Schwestern. Mit Schreiben begann ich spä- ter, vor allem ermuntert und beeinflusst von Nadja Räss, auch mein Vorbild und Dozen- tin für Jodel an der Volkshochschule.
Mit 23 verfügst Du über eine Stimme, deren Umfang und Volumen man, un- besehen, einer reiferen Person zuordnen würde. Hast Du Dich klassisch ausbilden lassen?
Nein, die Stimme hat mir die Natur mitge- geben. Sie war schon immer kräftig, was offenbar gut ankam, als ich mit 14, gut vor- bereitet von zwei Stunden Coaching bei Marie-Therese, zu diesem Wettbewerb an- trat. Ich denke, dass jede Stimme an Quali- tät gewinnt, wenn man sich mit ihr ausein- andersetzt und sie konsequent trainiert.
Du gibst Jodel-Workshops. Können alle jodeln lernen?
Grundsätzlich ja, jodeln ist für alle lern- bar, vorausgesetzt sie überwinden ihre Schüchternheit und lernen, hemmungslos loszulegen, was ja die Natur des Jodels ist. Natürlich sollte auch ein einigermassen brauchbares Musikgehör vorhanden sein.
Es ist, wie in allen Spar- ten, eine Frage des Wil- lens, wie weit man kom- men will. Ich war schon oft erstaunt über das Erblühen verborgener, nicht selten erfreulicher Talente, die irgendwann zur Oberfläche drängen und dort leben wollen, um sich weiter entfalten zu können.
Du wurdest kürzlich Mama, führst einen Haushalt und das tem- poreiche Leben, das mit einer erfolgreichen
Karriere kommt. Wie behältst Du Deine Bodenhaftung?
Ich habe das Glück, auf unserem Hof in einem Vier-Generationen-Haus zu wohnen, eingebettet in eine Familie, für die Boden- haftung und Hilfestellung keine Fremd- wörter sind. Meinen geistigen Ausgleich finde ich an einem abgelegenen Ort, den ich oft aufsuche, wenn Einkehr, Slow-down und neue Inspiration gefragt sind. Körper- lich werde ich mich nach der Baby-Pause wieder fithalten mit meiner zweiten Leiden- schaft Geräteturnen. Auch in diesem Be- reich folge ich meinen Schwestern, die auf Schweizermeister-Niveau turnten.
Die Volksmusik ist Dein Biotop. Wie hat sich dieses aus Deiner Sicht in den Jah- ren verändert, seitdem Du dabei bist? Vor allem Jodeln hat eine unglaubliche Re- naissance erlebt. Als ich zum ersten Mal an einem Volksmusiklager teilnahm, waren wir vier oder fünf Jodlerinnen, fünf Jahre später waren es bereits 15. Auffallend ist auch die Entwicklung im instrumentalen Bereich durch die ‹wilden Jungen› mit ihrer Experimentierfreudigkeit. Jede Generation hat Anspruch auf Freiraum. Genau diesen betreten wir mit unserer Ensemble-Forma- tion wenn wir mit zwei Geigen, Akkordeon, Bassgeige und Jodel unseren eigenen Sound vortragen und uns freuen dürfen über die Begeisterung, welche dieser beim Publikum auslöst.
arlette-wismer.ch
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