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224 1 BEST OF BEST OF PromiDie Sprache ist keine Komfortzone, sie ver%u00e4ndert sichText und Intervie Felix EngeliFotos: Maia WackernagelWo liegt Heimat, wenn die F%u00e4den des Lebens %u00fcber den Globus spinnen? In seinem neuen Buch %u00abTabak und Schokolade%u00bb erkundet Martin R. Dean, Sohn einer Aargauerin und eines indischst%u00e4mmigen Trinidaders, seine verzweigten Wurzeln. Im Gespr%u00e4ch preist der Schriftsteller und ehemalige Lehrer die bildende Kraft der Literatur und warnt vor einer zunehmenden Verrohung der Sprache%u00a0 %u2013 aber nicht etwa wegen Social Media oder k%u00fcnstlicher Intelligenz.Sie haben Ihre ersten drei Lebensjahre auf Trinidad verbracht. Als junger Mann haben Sie an verschiedenen Orten im Ausland gelebt und gearbeitet. Wo ist Ihre Heimat?Wenn man sich die Heimat als Haus vorstellt, ist die Stube der Ort, wo ich den Grossteil meiner Kindheit verbracht habe. Also Menziken im Kanton Aargau. Ein grosses Zimmer belegt Basel, wo ich seit vielen Jahren mit meiner Familie lebe %u2013 meine Tochter ist inzwischen ausgezogen. Und dann gibt es noch einige kleine K%u00e4mmerchen, Sehnsuchtsorte, die mich ebenfalls gepr%u00e4gt haben wie Rom, Paris, London und nat%u00fcrlich Trinidad. Im Keller unten ist es geheimnisvoll. Das sind Orte, wo es einen vielleicht ein bisschen gegruselt hat, aber wo man wieder hin will. Was haben Sie im Ausland gesucht? Und gefunden? In der Schweiz f%u00fchlte ich mich aufgrund meines indischtrinidadischen Hintergrunds nie vollst%u00e4ndig zuhause. Ich wollte wissen, wie man in Frankreich lebt, in Italien, in der Karibik. Ich habe jahrelang mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern, aber dann gemerkt, dass die Schweiz halt einfach ein tolles Land ist %u2013 was die Bildung angeht, was die Leserschaft angeht.Neben dem Schreiben haben Sie 28 Jahre lang am Gymnasium unterrichtet. Was vermitteln Sie jungen Lesern und Schreiberinnen?Wie verr%u00fcckt Literatur ist! Lesen regt zum Denken an. Wir alle haben Gef%u00fchle. Wir alle haben Wut. Wir alle haben Liebe. Aber bilde Dein Denken aus, dann kannst Du besser verstehen, auch Dich selbst. Ich habe mit Sch%u00fcler:innen mit Migrationshintergrund Gottfried Keller gelesen. Zum Beispiel %u00abPankraz, der Schmoller%u00bb, der in Afrika einen L%u00f6wen besiegt und als heiterer, aufgeschlossener Mensch zur%u00fcckkommt. Da entstehen extrem spannende Diskussionen. Auch da r%u00fcber, was Schweizerisch ist und was nicht. Und %u00fcber Rassismus.Rassismus ist auch ein Thema Ihres Schaffens. Zusammen mit SRF-Moderatorin Ang%u00e9lique Beldner brachten Sie 2021 das Buch %u00abDer Sommer, in dem ich Schwarz wurde%u00bb heraus.Aufgewachen: MenzikenWohnort: Basel, wo er studiert und unterrichtet hatWeb: www.mrdean.chIn K%u00fcrze: Martin R. Dean ist ein Schweizer Schriftsteller und Essayist. Wichtige Werke sind %u00abDie verborgenen G%u00e4rten%u00bb, %u00abMeine V%u00e4ter%u00bb, %u00abTabak und Schokolade%u00bb und %u00abDer Sommer, in dem ich Schwarz wurde%u00bb.Ich habe selber Rassismus erlebt und sah ihn bei meinen Sch%u00fcler:innen, von denen 30%u2013 40% eine Migrationsgeschichte haben. Die haben teilweise massiv unter Rassismus gelitten, das hat mich beelendet. Rassismus heisst, dass man einen Menschen behandelt, als w%u00e4re er zweiter Klasse. Dadurch kann er sich nicht entfalten. Dadurch kann er nicht aufbl%u00fchen. Ich wollte mich dagegen engagieren.In Zeiten von WhatsApp, Twitter und TikTok: Besorgt Sie der derzeitige Wandel der Sprache? Die Sprache ist keine Komfortzone, sie ver%u00e4ndert sich mit dem Gebrauch. Nat%u00fcrlich ist es schade, wenn Schweizer Dialektw%u00f6rter wie %u00abg%u00e4ch%u00bb oder %u00abt%u00fcppig%u00bb verloren gehen. Gleichzeitig halten englische W%u00f6rter Einzug ins Deutsche, was vor allem Social Media, aber auch Branchen wie dem Bankwesen geschuldet ist. Der Wandel der Sprache soll seinen Lauf nehmen, solange der Gebrauch nicht diskriminierend ist. Und da sehe ich heute das gr%u00f6ssere Problem.Was meinen Sie?Im %u00f6ffentlichen Diskurs fi ndet eine Sprachverrohung statt. Wenn ich J. D. Vance zuh%u00f6re, dann hat der f%u00fcr mich den Revolvergurt schon angeschnallt. Es vollzieht sich eine Reprimitivisierung im Umgang mit Mitmenschen, die auch auf der sprachlichen Ebene stattfi ndet. Vielleicht ist das der Anfang zu einem R%u00fcckgang ins Mittelalter. Zu einer Sprache, die sagt: Wir wollen als Mann wieder richtig die Sau raus lassen gegen%u00fcber den Frauen. Wir wollen als Weisse wieder richtig sagen k%u00f6nnen, wer hier der Chef ist. Und wenn mir jemand nicht passt, dann will ich den wieder richtig fertig machen k%u00f6nnen. Wenn es so weitergeht, schlagen wir uns in f%u00fcnf Jahren die K%u00f6pfe ein.Was macht k%u00fcnstliche Intelligenz (KI) mit der Literatur?Das ist eine schwierige Frage. Ich bef%u00fcrchte, dass KI in die Literatur einwandern wird. Man kann heute ganze Textstellen mit KI bauen lassen und sie %u00fcberarbeiten, ohne dass der Gebrauch von KI nachgewiesen werden kann. Und ich denke, dass gerade Leute, die keinen eigenen Stil haben oder keine eigenen Gedanken, ihre B%u00fccher mit KI schreiben werden oder dies bereits tun.

